Sie veranstalten die Klima-Konferenz „Barricading the Ice Sheets“, was so viel bedeutet wie „Die Eisdecken verbarrikadieren“. Thema ist etwa, dass Kunst eine immer wichtigere Rolle in Protestbewegungen spielt. Können Sie das näher ausführen?
OLIVER RESSLER: Schon vor rund zehn Jahren haben sich Künstler in der aufkommenden Klimaschutzbewegung engagiert. Damals ging es eher um eine Unterstützung der Kommunikation, um die Gestaltung von Websites oder Postern. In den letzten Jahren merkt man, dass Künstlerinnen und Künstler als Gestalter solcher Bewegungen auftreten und die Form des Protests prägen. Der Prozentsatz, mit dem Künstlerinnen und Künstler sich engagieren, ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung viel, viel höher.


Können Sie ein Beispiel für ein solches Engagement nennen?
Manche Aktionen werden komplett von Kunstschaffenden konzipiert, so etwa die große Aktion während der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris, die eine Gruppe, zu der John Jordan gehört, realisiert hat. Es ging dabei um die rote Linie, die von Menschen gemeinsam gezogen wird. „We are the red lines“ war die größte Aktion im öffentlichen Raum im Umfeld der UN-Konferenz. Jordan wird auch in der Camera Austria dabei sein.


Viele solcher Protestaktionen, auch mit Beteiligung von Künstlern, wirken radikal und werden von vielen als „zu militant“ kritisiert, ich denke da etwa an Bewegungen wie Extinction Rebellion. Schreckt das nicht viele ab?
Es gab jahrelang Demonstrationen, Petitionen, Manifeste, Aufrufe. Seit 25 Jahren verhandelt man im Rahmen der UNO über die CO2-Reduktionen. In der Zeit hat sich der weltweite CO2-Ausstoß verdoppelt. Und die Emissionen steigen weiter. Die Zeiten freundlicher Appelle, die scheinen vorbei zu sein. Mehr und mehr Menschen rund um den Globus sind bereit, zivilen Ungehorsam zu üben, um der Notwendigkeit eines radikalen ökologischen und ökonomischen Wandels Ausdruck zu geben.


Das heißt, eine solche Radikalisierung ist die Antwort auf ein immer radikaleres System?
Das würde ich auch so beschreiben. Und unser alltägliches System hat etwas Radikales.


Sie meinen auch, dass die neuen Formen des künstlerischen Aktivismus Auswirkungen auf die Kunstwelt haben werde?
In den letzten Monaten hat eine Reihe von großen Institutionen verlautbart, den CO2-Abdruck zu reduzieren. Etwa die Tate Gallery London, da geht es um die Reduktion von Flugreisen, um weniger Fleischverbrauch in der Kantine. Das ist alles viel zu wenig, aber wenigstens ein Schritt und von großer Symbolkraft. Kürzlich hat der wohl berühmteste Kurator der Welt, Hans Ulrich Obrist, der permanent in der ganzen Welt unterwegs war, angekündigt, dass er die Zahl seiner Flugreisen radikal einschränken möchte.


Es geht ja nicht nur um die organisatorischen Gepflogenheiten der internationalen Kunstwelt, sondern auch um die Rezeption: Wie erhöht man die Sichtbarkeit politisch engagierter Kunst?
Es gibt unterschiedliche Strategien, ich selbst als Künstler mache seit 20 Jahren Filmarbeiten. Der Hauptgrund dafür ist, dass ich ein Medium gesucht habe, das man sowohl in Kunstinstitutionen zeigen kann, aber auch „draußen“: bei politischen Veranstaltungen, Screenings von sozialen Bewegungen. Oder auch im Internet: Alle meine Filme, die älter sind als zwei Jahre, kann man auf meiner Website anschauen.


Auch die von Ihnen eingeladenen Referenten arbeiten ja in diese Richtung der Sichtbarmachung.
Ja, die gehen noch viel weiter als ich. Da überschneiden sich aktivistische und künstlerische Praxis bis zur Ununterscheidbarkeit. Die Bereiche lösen sich da im Leben auf, beziehungsweise im Versuch, Gesellschaft umzuformen und lebenswerter zu gestalten. Das wird auch ein Thema der Konferenz sein.


Die Teilnehmer, darunter auch der Träger des „Alternativen Nobelpreises“ Nnimmo Bassey aus Nigeria, haben das begleitende Filmprogramm in der Akademie Graz gestaltet. Und das Projekt mündet 2021 in Ihre Ausstellung in der Camera Austria. Wie bildet man solche Themen in einer Schau ab?
„Barricading the Ice Sheets“ ist als Forschungsprojekt auf vier Jahre angelegt. Es entstehen mehrere Filme, einer davon dokumentiert die Konferenz. Dazu kommt ein Fotozyklus, der gerade entsteht, das alles versuche ich dann für die Galerieräume zu bündeln.