Maria Lassnig Superstar. Gefühlt vergeht derzeit kaum ein Monat, in dem nicht irgendwo auf der Welt eine große Ausstellung der 2014 verstorbenen Malerin eröffnet. Tatsächlich ergibt ein schneller Check: spätestens seit der kurz vor ihrem Tod im MoMA PS1 in New York eröffneten Lassnig-Personale stehen namhafte Institutionen praktisch Schlange um Retrospektiven der Künstlerin. Liste gefällig? Fundació Antoni Tàpies in Barcelona, LLS Paleis Antwerpen, Hilfiker Kunstprojekte Luzern, Tate Liverpool, Hauser Wirth & Schimmel Los Angeles, Petzel Gallery New York, Galerie Ulysses und Albertina Wien, Kunsten Museum of Modern Art in Aalborg, Museum Folkwang Essen, Nationale Kunstgalerie Warschau, Nationalgalerie Prag, Kunstmuseum Basel. Und das sind nur die Einzelausstellungen bis 2018.
2019 brachte bisher zwei Doppelretrospektiven, eine mit Arnulf Rainer im Lentos Linz und in Klagenfurt, im Münchener Lenbachhaus eine mit Martin Kippenberger. Die Einzelausstellung „Ways of Being“, heute den letzten Tag im Stedelijk Museum in Amsterdam zu sehen, wird ab 6. September in der Albertina gezeigt; als große Retrospektive zum 100. Geburtstag, den Malerin im heurigen Jahr gefeiert hätte. Natürlich, so ein rundes Jubiläum wirkt. Trotzdem kann man den regen Ausstellungsbetrieb erstaunlich finden. Oder auch nicht.
Wiener Vorstadt. Ein weißes Emailschild über der Glocke, ein Innenhof, von Kletterpflanzen verdunkelt und gekühlt. Hier hat Maria Lassnig lange ihr Atelier unterhalten; heute ist das Haus in der Gurkgasse Sitz der Maria Lassnig Stiftung. Sie erstellt das Werkverzeichnis der Künstlerin, vergibt Forschungsaufträge sowie einen biennalen Mid-Career-Preis, der 2019 an die Inderin Sheela Gowdaging. Und sie macht Lassnigs Werk „für Ausstellungen verfügbar“. Soll heißen: Wird Lassnig ausgestellt, ist die Stiftung so gut wie immer involviert. Die Künstlerin hat das Unternehmen noch selbst initiiert. Sein Vorsitzender ist der aus Graz stammende Kunstmanager und Kurator Peter Pakesch, langjähriger Leiter der Kunsthalle Basel und danach bis 2015 Intendant des Grazer Universalmuseums Joanneum. Pakesch gilt schon seit seiner ersten Karriere als Kurator in Graz und Galerist in Wien als Tempomacher in sachen Gegenwartskunst; das enorme Interesse an Lassnig ist nicht zuletzt seinem internationalen Netzwerk zu danken. „Dass wir dank unseres Know-hows viel Support geben können“, sagt er selbst, verschaffe Lassnig „einen gewissen Startvorteil. Das Faszinierende an ihrem Werk ist aber, dass es immer noch wächst.“
Nach wie vor lassen sich neue Aspekte in einem Œuvre entdecken, in dem nebst der vielschichtigen Betrachtung der eigenen Körperlichkeit und Fragen weiblicher Selbstbehauptung Motive aus Mythologie, Alltag, Zeitgeschehen wiederkehren, Selbstzitate, aber auch die Auseinandersetzung mit anderen Künstlerpersönlichkeiten. Das Schaudepot der Stiftung versammelt früheste Arbeiten Lassnigs – Porträtstudien der Studentin, Werke des Informel – ebenso wie letzte Arbeiten, die laut Pakesch zeigen, „dass sie auch eine Künstlerin des 21. Jahrhunderts war.“ Insgesamt ziele die Stiftung darauf ab, einen Bestand zu etablieren, der Lassnigs kunsthistorische Bedeutung abbildet.
1000 Bilder auf Leinwand, rund 6000 Arbeiten auf Papier sind von ihr bislang erfasst; etliche hundert davon verwaltet die Stiftung. Da es zum Auftrag der Institution gehört, Lassnig in internationalen Museen und Sammlung zu platzieren, stehen neben unveräußerlichem Bestand rund 50 Prozent der Werke im Stiftungsbesitz zum Verkauf. Umgekehrt tätigt man auch Ankäufe, „wenn es biografisch interessant ist. Bloß Marktpflege betreiben wir nicht“, versichert der Kunstmanager.
Scheint derzeit auch nicht notwendig: Einzelne Lassnig-Werke werden auf dem Kunstmarkt mit bis zu einer Million Euro bewertet, für bedeutendere Leinwände werden bis zu 500.000 Euro bezahlt. „Im Vergleich zu ihrer Bedeutung, auch im Vergleich zu deutscher, amerikanischer, chinesischer Kunst, ist das gering“, so Pakesch. Das könnte sich demnächst ändern: für 2020 ist eine Ausstellung in Hongkong geplant, wie der potente asiatische Kunstmarkt reagiert, wird sich zeigen.
Also alles perfekt in Sachen Lassnig? Pakesch relativiert: Insgesamt finde sich zu wenig relevante österreichische Kunst in heimischen Sammlungen: „Eine der wesentlichen Aufgaben im Museumsbetrieb wird in Österreich nicht wahrgenommen.“ Die 80er-Jahre, mit Lassnig und West als Galionsfiguren und Künstlern wie Brus, Nitsch, Zobernig, Rainer, seien kunsthistorisch so wichtig „wie zuvor nur die Kunst der Jahrhundertwende. Aber die Bedeutung dieser Künstlergeneration wird zu wenig gesehen. Auch vonseiten der Kulturpolitik.“
Ute Baumhackl