Sie haben ein Ausstellungprogramm vorgestellt für 2023, das Sie nach Ihrer überraschenden Nicht-Wiederbestellung nun nicht mehr selbst umsetzen werden. Was machen Sie denn jetzt?
WOLFGANG MUCHITSCH: Ich ziehe ins Museum für Geschichte ins Team von Bettina Habsburg, um das Zeughaus zu unterstützen und für 2024 die Eröffnung des Erzherzog-Johann-Museums in Stainz mitvorzubereiten, das ich initiiert habe. Da wird es um die Umbruchszeiten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehen, um Nationalismen, Kriege, Wirtschaftskrisen, industrielle und agrarische Revolution, soziale Fragen und wie Johann darauf reagiert hat. Vorerst gehe ich also in die dritte Ebene zurück.

Vorerst?
Ich kann offen gestehen, dass ich diese Gast-Kuratorenschaft als Übergangsphase sehe und mich parallel dazu national und international umsehe, ob es größere Herausforderungen gibt für meine verbleibenden fünf Arbeitsjahre. Was mich reizen würde, sind Mehrspartenhäuser, also Universalmuseen, die wie hier von Naturkunde bis zur Kunst alles umfassen. Ich fände es faszinierend, in einer Konstellation zu arbeiten, in der man Häuser neu aufsetzen, neue Strukturen implementieren und seine Expertise aus 20 Jahren einbringen kann. Das Strukturelle, Organisatorische, war schon immer ein starkes Thema von mir.

Was tut sich da am Horizont?
Na ja, es gibt Landes-Museen, die frei sind, Häuser in Deutschland und in der Schweiz. Bundesmuseen.

Wie das Heeresgeschichtliche Museum…
Das ist keine Option für mich.

Kärnten hat ein brandneues Landesmuseum, das auch gerade ausgeschrieben ist…
…Und das mich natürlich interessiert, nachdem ich familiäre Wurzeln in Kärnten habe. Die Ausschreibung läuft schon und wird wahrscheinlich im Februar entschieden.

Am 31. Dezember werden Sie auf den Tag genau 20 Jahre Chef des UMJ gewesen sein. Was sind die Marksteine dieser Zeit?
Wir haben mit einem Team von durchschnittlich 450 Menschen in 20 Jahren über 600 Sonderausstellungen produziert. Wir haben die Sammlungen um über eine halbe Million Objekte erweitert, auch mit großen Schenkungen, mit all dem Aufwand, der damit verbunden ist. Und es sind in dieser Zeit rund 150 Millionen Euro in das Joanneum geflossen, weil extrem viel investiert wurde. Und so herausfordernd etwa das Reformjahr 2011 mit dem Sparprogramm wirtschaftlich gewesen ist: Es war ein Glücksfall, das Haus gerade zu seinem 200. Jubiläum verantworten zu dürfen. Alle Gebäude, alle Standorte wurden größtenteils generalsaniert, bis hin zur Eröffnung des Joanneumsviertels, und wir haben alle Schausammlungen neu aufstellen können. Die Pionierphase der Ausgliederung war eine einzigartige Herausforderung – die Gesellschaft und ihre Strukturen aufzubauen, die ständige Erweiterung: 2003 das Kunsthaus, dann das Institut für Kunst im öffentlichen Raum, der Skulpturenpark, die Peter Rosegger-Museen, das Freilichtmuseum Stübing und im letzten Jahr der Tierpark Herberstein.

Manche sehen da Kraut und Rüben. Wäre es für Sie denkbar gewesen, auch eine Sparte des UMJ aufzugeben?
Die Frage war schon, ob man manches zusammenführt, etwa die Volkskunde mit dem Museum für Geschichte, vor allem, weil sich beide stark in zeitgeschichtlichen Themen bewegen. Aber das war politisch nicht gewünscht, das muss man akzeptieren. Es gab natürlich immer eine Suche nach Synergien. Auch die Alte Galerie nach Schloss Eggenberg zu verlegen, hat uns anfangs nicht viele Sympathien gebracht, aber die Überlegung war, dorthin zu gehen, wo die Menschen sind.

In einem Betrieb, in dem es ums Bewahren geht, ist man vielleicht nicht sehr veränderungsfreudig?
Nein, das stimmt nicht, der Betrieb an sich ist sehr dynamisch und musste sich ständig an neue Gegebenheiten und Strukturen anpassen. Das Museum ist eine sehr agile Institution, die nach außen vielleicht etwas Bewahrendes, Langsames hat. Aber hinter den Kulissen herrscht große Dynamik.

Man hört aber, dass der Apparat zum Teil schon recht schwerfällig und bürokratisch sei. Die Abteilungsvorstände leben ihre hierarchische Macht auf sehr unterschiedliche Weise, nicht alle gelten als kooperationsfreudig.
Wir können in diesem universalen Museum interdisziplinär arbeiten und jedes relevante Thema dieser Gesellschaft aus verschiedensten Perspektiven angreifen. Aber wie immer im Leben gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sind kooperativer und andere, die sich zurückhalten. Das Engagement ist groß, aber jeder macht es auf seine Art. Das ist aber nicht strukturell, sondern menschlich bedingt. Ich denke, dass man eine sehr gute Struktur hinterlässt.

War die überraschende Ablöse der Doppelspitze mit Ihnen als wissenschaftlichem Direktor und Alexia Getzinger als kaufmännischer Leiterin aus Ihrer Sicht ein Politikum?
Natürlich wurde diese Entscheidung letztendlich von der Politik getroffen. Wobei unsere Kooperation keine schlechte war.

Aber die Disharmonie zwischen Ihnen und Ihrer Co-Geschäftsführerin war bekannt.
Die Geschäftsführung war vielleicht nicht immer die harmonischste. Aber vielleicht waren manche Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten seitens des Eigentümers nicht klar genug definiert und aufgeteilt. Wenn man sagt: Macht euch das selbst aus, geht das manchmal schwer in einer Geschäftsführung.

Alexia Getzinger wurde jüngst zur Interimsleiterin des Tierparks Herberstein bestellt. Ein Akt freundlicher Jobversorgung?
Der Eindruck kann entstehen. Aber die erste Ausschreibung für die Geschäftsführung in Herberstein hat zu keinem Ergebnis geführt. Es ist also notwendig, das nochmals auszuschreiben, und man kann bis dahin in einer Landesgesellschaft die Leitung sechs Monate lang provisorisch-interimistisch und ohne Ausschreibung bestellen. Das ist vorgesehen und rechtens.

Im Prinzip vielleicht. Aber die Optik nach außen ist verheerend.
Ich glaube, die wahre Nagelprobe kommt erst mit der neuen Ausschreibung. Die Textierung wird dann zeigen, in welche Richtung eine längerfristige Personalentscheidung gehen soll.

Ihr Nachfolger Marko Mele tritt am 1. Jänner an. Ihr Ratschlag für ihn?
Aus meiner Erfahrung sehe ich, dass man den Menschen im Museum die Möglichkeit geben muss, das umzusetzen, wofür sie wirklich brennen. Mir war das immer wichtig. Was weniger gut ankommt, ist, wenn man von oben herab Ausstellungen bestellt. Dann kommt vielleicht ein Produkt heraus, mit dem niemand richtig zufrieden ist. Weder die, die es gemacht habe, noch die, die es beauftragt haben. Darum ist die inhaltliche Autonomie der Abteilungen wichtig, auch wenn man sich gut abstimmen muss, damit man sich nicht gegenseitig im Weg steht.

Und was wünschen Sie dem Haus?
Im Prinzip dauert die Pionierphase seit 20 Jahren an. Es gibt ständig neue Umbrüche, die Institution kommt nie in die Ruhe, die sie brauchen würde, um wirklich längerfristig planen zu können. Weniger Hektik und Getriebenheit würde ich dem Haus also noch mehr wünschen als mehr Budgetmittel oder mehr Personal. Nicht wie im Hamsterrad immer noch mehr Neues produzieren zu müssen. Sobald diese Hektik überhandnimmt, wird alles verkrampfter, emotionaler.

Was sind nach Corona die größten Herausforderungen für die Museen?
Da hat sich schon vorher viel getan: das inklusive Museum ist ebenso ein Thema wie die digitale Transformation. Und rund um Ukrainekrieg und Energiekrisen ist der Bereich der Nachhaltigkeit noch viel stärker bei uns angekommen. Zum einen wird die Nachhaltigkeit zum inhaltlichen Thema, etwa mit der Steiermark Schau 2023. Da sind wir ein wichtiges Sprachrohr der Gesellschaft und ein zutiefst politischer Ort, weil wir Themen wie Biodiversität, Klimaschutz, Nachhaltigkeit forcieren können. Und natürlich müssen wir selbst als Institution in unserem tagtäglichen Geschäft viel hinterfragen: unsere Energieeffizienz, die Klimawerte in den Depots, große Leihgaben, die von weither eingeflogen werden. Zugleich müssen wir mit immer neuen Narrativen, neuen Projekten und neuen Ausstellungen das Publikum ansprechen und sukzessive erweitern.

So wie mit der Steiermark-Schau?
Die ist sicherlich eine große zusätzliche Herausforderung, weil die bestehenden Teams ein so ein großes Projekt mittragen müssen. Aber für unsere Naturkunde ist das auch eine große Chance. Biodiversitätsforschung ist ein großes Thema unserer Zeit, da sind wir in der Form das erstes Haus der Biodiversität in Österreich und international wahrscheinlich auch.

Wie hoch ist eigentlich der Forschungsanteil im Haus?
Von unseren Kosten gehen ungefähr 60 Prozent ins Personal, 30 Prozent in die Infrastruktur und 10 Prozent an frei verfügbaren Mitteln verbleiben für Projekte, Ausstellungen, Marketing. Das sind rund drei Millionen Euro für durchschnittlich 30 Ausstellungen pro Jahr und für viele Forschungsprojekte, die nicht immer die große Bühne kriegen.

Könnten Sie sich vorstellen, den Museumsbetrieb ganz zu verlassen?
Nein. Das ist kein normaler Job, das macht man mit sehr viel Herzblut. Die Museen leben von den Menschen, die mit Leidenschaft dahinterstehen, und von ihnen schmerzt der Abschied am meisten. Das viele positive Feedback jetzt in dieser persönlich schwierigen Phase ist eigentlich das Schönste. Das ist mir mehr wert als offizielle Dankesreden, die es dann ohnehin nicht gibt.

Was soll Ihre Hinterlassenschaft im UMJ sein?
Ich bin selbst Historiker, in der hausinternen Konkurrenz um Mittel, Aufmerksamkeit und Möglichkeiten habe ich also oft gehört, dass ich die Geschichte zu stark unterstützt habe. Aber ich fand die Landesgeschichte im Vergleich zur Kunst lange unterrepräsentiert. Mir war aber auch das Center of Science Activities CoSA wichtig. Weil ich mir denke: Wenn Erzherzog Johann heute etwas gründen würde, dann das Museum für Geschichte und das CoSA. Ihm ging es um Bildung von Geschichtsbewusstsein, also „Nation Building“, und darum, Menschen einen Zugang zu Naturwissenschaft und Technik zu bieten. Wenn ich zurückschaue, ist es schön, dass gerade diese Bereiche in den letzten Jahren sehr stark forciert worden sind.