Für viele Künstler wird die derzeitige Auszeit von der Bühne angesichts ausbleibender Honorare zur Existenzfrage. Sind Sie auch so schwer betroffen?
Günther Groissböck: Ja, natürlich bin ich auch betroffen, denn derzeit verdiene ich gar nichts. Anfänglich hatte ich ehrlich gesagt auch einige schlaflose Nächte, denn die fixen Ausgaben, die sich nach dem richten, was man bisher verdient hat bzw. in den nächsten Jahren an abgeschlossenen Verträgen verdienen wird, laufen natürlich weiter. Wer hat denn in Zeiten von Nullzins schon einfach mal Geld für ein halbes Jahr auf dem Konto oder gar unter dem Kopfkissen griffbereit? Ich weiß, das klingt bei Top-Sängern immer etwas nach Jammern auf sehr hohem Niveau, kann aber in so einem extrem unvorhersehbaren Fall trotzdem von heute auf morgen existenzbedrohend werden. Viele von uns haben auch Familien, Kredite etc. und führen dabei alles andere als ein Jetset-Life, wie das irrtümlicherweise oft vermittelt wird.
Was bedeutet das für einen Sänger, wenn ein Mammutprojekt wie der „Ring“ in Bayreuth einfach abgesagt wird? Sie hätten dabei an allen Abenden den Wotan singen sollen. Bekommen Sie ein Ausfallhonorar?
Nein, Ausfallshonorare gab es bisher keine, so wird momentan intensiv über diese spezielle Situation verhandelt. Die meisten freiberuflichen Opernsänger sind als sozialversicherungspflichtige, kurzfristig Beschäftige an den Opernhäusern angestellt. Das heißt, dass die sogenannte „höhere Gewalt“-Klausel in den Verträgen, die bisher meist nur bei Katastrophen wie Hochwasser, Feuer, oder aber Generalstreik zur Anwendung kam, wohl kaum vor Gericht kaum halten würde und so bemühen sich nun alle Seiten um eine vernünftige, einvernehmliche Lösung. Über den ideellen Verlust und die Enttäuschung brauchen wir gar nicht zu reden. Ich bin Sänger aus Berufung und brenne wie kaum jemand anderer für die Sache. Geld ist nur dazu da, um mir die Möglichkeiten für bestmögliche, freie künstlerische Entfaltung und Freiheit zu bieten, und um meiner Familie ein gutes, sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Mehr nicht.
Wie hoch ist dieser finanzielle Verlust eines erwarteten Jahreseinkommens, das sich nun beträchtlich schmälert?
Momentan sind es ca. zwei Drittel meines Jahresgehaltes. Ich will hier nicht mit Zahlen herumjonglieren, denn es gibt diesbezüglich immer sehr schnell Missverständnisse und unnötige, ja sogar unfaire Neiddebatten. Bruttohonorare klingen bei Spitzensänger oft sehr hoch. Man muss aber immer bedenken, dass am Ende nach allen Abzügen, wie Steuern, Agenturprovisionen, Wohnungs- und Reisekosten etc. nur etwas mehr als dreißig bis vierzig Prozent davon überbleiben. Eine Wohnung in New York, London oder Paris kostet eben sehr viel, das Leben dort ebenso und nebenbei laufen daheim die Haushaltskosten und Ausgaben der Familie regulär weiter. Man kann auch nur ein gewisses, beschränktes Pensum an Aufführungen pro Jahr absolvieren, so etwa 50 Aufführungen im Jahr. Man kann nicht jeden Tag „ochsen“ gehen.
Welche Hilfen sind nun dringend nötig?
Speziell für die niedrigen Einkommen sehr schnell - also besser noch heute als morgen - eine angemessene Soforthilfe, die völlig unkompliziert und unbürokratisch zu beziehen sein muss.
Wie beurteilen Sie die Hilfspakete der Regierung?
Für Österreich kann ich dazu momentan noch nicht allzuviel sagen. Ich weiß aber aus Deutschland, dass z.B. die Notfallshilfe für Künstler in Nordrhein-Westfalen mit 17.000 Anträgen in kürzester Zeit hoffnungslos überfordert war. Nur 6000 Anträge wurden überhaupt bearbeitet und gar nur 3000 erhielten Zuwendungen. Dann war der Topf leer. Diese Hilfsmaßnahmen klingen in der Zeitung oder im TV immer ganz wunderbar, aber in Wirklichkeit sind der Großteil dieser Maßnahmen, so wie bisher Vieles was die Politik da veranstaltet, ist Vieles ziemlich planlos. Ich bin sehr gespannt, wie man aus diesem ganzen Schlamassel wieder rauskommen will.
Künstlerische Arbeit gilt auch als Schwerstarbeit. Was entgegnen Sie Menschen, die das Ganze eher als eine Art „Hobby“ abtun, für das man halt ein bisschen „trainieren“ muss?
Ich will wie gesagt keine Neiddebatten schüren, aber muss ich mich als Sänger nun etwa dafür entschuldigen, dass ich mich über Jahre, mit großem Fleiß und Entbehrungen an die Weltspitze gekämpft habe, mit allen Risiken, dem permanenten Druck, den ich jeden Abend habe, nun mehr verdiene? Ich höre solche Diskussionen bei Fußballern, Skifahrern nur sehr selten. Singen ist auf diesem Niveau, wie ich es betreibe, ebenfalls ein Hochleistungssport und dafür finde ich, ist die Bezahlung im seriösen Opernbusiness fair und angemessen. Ähnlich wie im Spitzensport kann man in vielen Stimmfächern meist auch nur einige Jahre auf Top-Level tätig sein.
In einem Interview haben Sie gesagt, dass die Maßnahmen in Sachen Corona mehr schaden als bewahren. Was meinen Sie damit?
Ich bin nach wie vor völlig sprachlos, was da geschehen ist bzw. ja leider nach wie vor geschieht. Langsam sehen wir auch an den harten, nackten Zahlen sprich Todesfällen durch und nicht mit Corona und den teilweise halbleeren Spitälern, dass wir uns da offensichtlich von den Experten in die Irre haben führen lassen. Der Vergleich mit den peinlichen Fehleinschätzungen der letzten sogenannten Pandemie, der Schweinegrippe, vor 10 Jahren hinkt natürlich, aber das alles niedermetzelnde Killervirus war und ist Covid-19 eben Gott sei Dank doch nicht. Da ich in einer sogenannten Krisenregion, dem südlichen Tessin, direkt an der Grenze zur Lombardei lebe, war mir von Beginn an klar, dass das alles überzogen ist. Wo immer möglich, versuche ich mir vor Ort selbst oder durch Leute, denen ich vertraue, ein Bild zu machen. Leider hat sich der Großteil der klassischen Medien bei diesem Konzert der Angst und Panik auch schamlos instrumentalisieren lassen. Es wird nun sicher sehr schwer, Menschen die Angst vor einer Infektion, der meist glimpflich verlaufenden Krankheit oder vielleicht auch nur vor dem normalen Kontakt mit den Mitmenschen wieder zu nehmen. Bedauerlicherweise gibt es auch noch immer Leute, die die „neue Normalität“ ihres Kanzlers, der ihnen vor ein paar Wochen noch bis zu 100.000 Tote prophezeit hat, gut finden wollen. Zum Glück gab es in Österreich bisher nur etwas mehr als 500, großteils betagte Opfer - selbstverständlich jeder einzelne zu viel - aber die Horrorprognosen der Bundesregierung waren in jeder Hinsicht einfach übertrieben. Weder eine signifikante Übersterblichkeit noch der Kollaps des Gesundheitssystems sind eingetreten. Dafür aber haben wir nun die größte Arbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg und sind in einer Art Polizeistaat gelandet, wo Grundrechte einfach mal so auf Wochen ausgesetzt werden. Ich bin auch nach wie vor entsetzt, dass sich so wenige Künstler zu diesen höchst bedenklichen Zuständen zu Wort melden.
Wie schnell kann sich das kulturelle Leben wieder erholen?
Das hängt davon ab, wie schnell wir uns jetzt eben wieder in Richtung echte Normalität bewegen wollen. Ob wir uns also weiter in Angst vor dieser Krankheit einsperren lassen und mit Maulkörben herumlaufen wollen, oder wieder unser normales Leben zurückfordern, wo man wieder Menschen treffen, berühren oder aber auch gemeinsam Sport und Musik machen kann. Große Oper oder Konzerte sind jedenfalls in einer „neuen Normalität“ leider nicht möglich, soviel ist klar.
Sehen Sie auch positives in der Krise? Etwa, dass der Wert von Kunst künftig vielleicht höher geschätzt wird?
Ich gehöre keinesfalls zu diesen „Entschleunigungsgurus“, die das jetzt alles so toll finden, weil wir nun endlich wieder bewusster die Vogerl‘n zwitschern hören oder gar die Eichhörnchen auf der Straße bewundern können. Dafür bin ich im normalen Leben hoffentlich bewusst genug und der Preis, und das meine ich jetzt nicht im wirtschaftlich pekuniären Sinn, dieses Shutdowns ist viel zu hoch. Aber klar, gibt es Dinge, die mir durch diese Auszeit klarer vor Augen geführt wurden. Für die Kultur hoffe ich nur, das man sich nun wieder mehr zum Inhalt, zum Wesen und zur Seele der Kunst wenden wird und ganz allgemein auch den Wert des echten, analogen Lebens und eben dieser echten Interaktion zwischen Menschen wertschätzen lernt. Gleichzeitig wünsche ich mir eine Abkehr von der lauten, oft hohlen und oberflächlichen Event-Mentalität, wie sie leider in den letzten Jahren auch in der Klassik-Branche Einzug gehalten hat.
Ihre nächsten Pläne in Österreich?
Neben diversen Ideen und Projekten, die ich noch in der hoffentlich bald zu Ende gehende „neuen Normalität“ verwirklichen will, käme im September mein Rollendebüt als Fiesco in Verdis „Simone Boccanegra“ mit Placido Domingo in der Titelrolle. Ich würde mir so sehr wünschen, dass das gleich zu Beginn der neuen Spielzeit und Intendanz an der Wiener Staatsoper stattfinden kann. Nach einer „Rosenkavalier“-Serie als Ochs erstmalig in Wien im Dezember, werde ich das große Abenteuer „Wotan“ im Haus am Ring im April angehen, nach dem ja Bayreuth diesen Sommer leider nicht stattfinden kann. Und das Theater an der Wien hat mich für ein ganz tolles, „verrücktes“ Projekt engagiert, das meine Kreativität momentan Tag und Nacht inspiriert... Darüber darf ich momentan aber noch nichts sagen.
Helmut Christian