Mit Ihrer Expertise sind Sie ein auf der ganzen Welt gefragter Historiker. Dennoch nehmen Sie sich die Zeit für ein aufwendiges TV-Projekt wie die „Terra X: Welten-Saga“-Reihe. Was reizt Sie daran, Herr Clark?
Christopher Clark: Erstens ist es die Freude an der Kommunikation. Fernsehen ist für mich ein Kommunikationsmittel. Man kommuniziert auch durch Vorlesungen und Bücher, aber eine Fernsehsendung erreicht Millionen Menschen, das ist schon ein Unterschied. Dazu ist das Leben eines Universitätshistorikers eigentlich ein sehr einsames Leben. Die Forschung macht man allein, man schreibt allein. Man ist immer in der Selbstisolierung, auch ohne Coronavirus (lacht). Fernsehen ist hingegen eine Teamarbeit.

Ein Thema, das die ZDF-Doku begleitet, ist die Vergänglichkeit des Kulturerbes. Sei es durch Zerstörung, Vergessen oder Klimawandel. Wie viel Melancholie darf sich ein Historiker erlauben?
Christopher Clark: Weder als Mensch noch als Historiker lässt mich die Vergänglichkeit kalt. Ich verstehe nicht, wer davon unberührt bleiben könnte. Vielleicht junge Menschen. Selbst hatte ich ein viel geringeres Gespür für Vergänglichkeit, als ich 20 Jahre alt war. Aber jetzt habe ich ein unglaubliches starkes Gefühl dafür und das ist nicht nur meines, es entspricht dem Zeitgeist: Wir spüren alle die Vergänglichkeit, nicht nur die eigene, sondern auch von diesem unglaublich schönen Planeten. Die Vergänglichkeit ist ein Thema der Moderne, weil die Moderne vom Abschiednehmen von der Vergangenheit gekennzeichnet ist. Aber jetzt sind wir in einer Steigerung begriffen, es wird auf eine neue Weise intensiviert. Das spürt man auch in unserer „Welten-Saga“.

Christopher Clark vor der Mondpyramide in Teotihuacán, Mexiko.
Christopher Clark vor der Mondpyramide in Teotihuacán, Mexiko. © (c) ZDF und Alexander Hein

Als Historiker befassen Sie sich mit einschneidenden Ereignissen, die unseren Blick in die Vergangenheit strukturieren. Wie einschneidend wird die Coronakrise?
Christopher Clark: Ich habe in den letzten sechs Wochen für die Geschichtsfakultät in Cambridge einen Podcast gemacht, für den ich mit verschiedenen Historikern und Historikerinnen gesprochen, die sich mit dem Thema Epidemie auseinandergesetzt haben. Wenn man sich eine Weile mit dem Thema befasst, dann hat es eine merkwürdig tröstende Wirkung. Es hat viel tödlichere Epidemien gegeben, zum Beispiel die spanische Grippe im Jahr 1918/19, die zwischen 50 und 100 Millionen Menschen getötet hat. Die meisten Toten waren aus der Mitte des Lebens, zwischen 15 und 45. Trotzdem haben sich die Makrowirtschaften sehr schnell wieder erholt.

Womöglich alles doch nicht so schlimm?
Christopher Clark: Man kann es natürlich nicht wissen. Vielleicht hat die Entstehung neuer globaler Strukturen das Gesamtsystem fragiler gemacht. Und vielleicht stimmt das schon, dass wir nach dem kurzen Einschnitt der Epidemie doch einen riesigen Wirtschaftskrach erleben werden. Und dann wird man sagen, es ist ein Epochenwechsel. Aber ich kann immer noch meine Hoffnung nicht auslöschen, dass es doch nicht dazu kommen wird. Die Zahlen sind alle ungeheuer: Die Arbeitslosenzahlen und die großen Hilfsfonds mit 3000 Milliarden – ich weiß ja gar nicht, wie diese Zahlen auf Deutsch heißen. Nach Milliarde geht mein Deutsch aus. Aber ob es wirklich zu einem totalen Kollaps kommen kann, wovor wir manchmal gewarnt werden, das weiß ich nicht. Nicht besser, als irgendein anderer.

Werden wir aus dieser Krise etwas lernen?
Christopher Clark: Ich hoffe es. Die schnell wachsende gesellschaftliche Ungleichheit, besonders in den angelsächsischen Ländern, ist zum brennenden Thema geworden. Ich hoffe, wir lernen aus dieser Krise, besser mit diesen Themen umzugehen. Dass wir Routinen und Strukturen entwickeln, die uns in Zukunft vor solchen Fehlern retten.