Als Entertainer auch im fortgeschrittenen Alter noch auf der Bühne zu reüssieren, heißt grundlegende Entscheidungen treffen. Üblicherweise konzentriert man sich auf seine alten Hits und gibt einem getreuen Publikum, was es kennt. Man macht mit Charme wett, was die Stimme nicht mehr leisten kann. Oder man ist Tom Jones.
Der Waliser, unlängst 82 geworden, gastierte im Rahmen seiner aktuellen Tour am Samstag in der Grazer Stadthalle, und demonstrierte dabei, dass sein weicher, samtiger Bariton von den Jahren genauso wenig versehrt wurde wie sein sprichwörtliches Charisma. "Surrounded By Time", sein 41. Album, machte ihn im Vorjahr zum ältesten Chart-Topper Großbritanniens, wie Jones nicht ohne Stolz erzählt, und versammelt Covers wie Bob Dylans "Not Dark Yet", Cat Stevens‘ "Pop Star" oder Terry Calliers "Lazarus Man". Die gibt es in treibenden, stampfenden Versionen auch live, wohl ein Zeichen dafür, dass Jones, der als Bluesröhre begann und von einem findigen Manager zum Unterhaltungssänger mit mehr als 100 Millionen verkauften Tonträgern und Vegas-Glitz umgemodelt wurde, heute singt, was er will.
Seine wichtigsten Evergreens schließt das im Liveprogramm keineswegs aus, im Gegenteil: Mit einer bald sechs Jahrzehnte umspannenden Karriere wie Jones‘ in der Tasche haut man Hits wie "It’s Not Unusual", "What’s New, Pussicat?", "Sex Bomb" – Material also, das andere Entertainer sich jedenfalls für ihre Zugaben aufsparen würden – gleich einmal zu Konzertbeginn hinaus. Ein Gutteil der knapp 20 Songs aber stammen aus dem aktuellen Album, das hinreißend augenzwinkernde Lamento "I’m Growing Old", mit dem Jones den Abend eröffnet, ebenso wie die grimmige Spoken-Word-Tirade "Talking Reality Television Blues".
Asche von der Glut geblasen
Dazwischen, präzise unterstützt von seiner druckvoll musizierenden und mit Bombast nicht geizenden Old-School-Rockband, zeigt Jones, warum er bis heute als Inbegriff des "Crooners" und "Belters" gelten muss: Kaum einer sonst beherrscht die Rollenfächer des Säuslers und Orglers wie er. "Sex Bomb" erfährt einen extra langsamen Auftakt, bevor mit Midtempo-Swing die Asche von der Glut geblasen wird, Dylans "One Moore Cup of Coffee" gerät zum Geisterwestern, Leonard Cohens "Tower of Song" zur Hymne.
Dazwischen gibt es jede Menge Mitklatsch-, Mitsing- und Mittanznummern, von "You Can Leave Your Hat On", bis "Delilah" und "Kiss", ein Angebot, das in der Halle von Anfang bis Ende euphorisch genutzt wird. Dass da musikalisch zwischendurch doch etwas routiniert dahingerumpelt wird, fällt kaum ins Gewicht, zumal Jones zwischendurch mit Gutelaune-Anekdoten unterhält, zu denen natürlich auch jüngst getätigte Erfahrungen mit Schnaps und Schnitzel in Graz gehören. Nach gut zwei Stunden und dem traditionellen Kehraus mit "Strange Things" ist jedenfalls klar: Auch wenn sich der "Tiger" auf der Bühne heute etwas vorsichtiger bewegt, ist seine Majestät als König dieses Dschungels ungebrochen.
Noch einmal Tom Jones live: 3. Juli. Konzerthaus Wien.
Ute Baumhackl