Werkausgaben, Briefwechsel und autobiografische Notate umfasst die Salzburger Ingeborg Bachmann Edition, die durch die Freigabe des Nachlasses durch die Erben inzwischen auf zehn Bände angewachsen ist. In „Senza casa“ wird eine „sehr persönliche Innensicht von Ingeborg Bachmanns Leben deutlich“, erzählt Silvia Bengesser, neben Gabriella Pelloni und Isolde Schiffermüller Herausgeberin des nicht nur für Germanistinnen spannenden Buches, das „wie ein Kaleidoskop unglaublich viele Facetten dieser ungewöhnlichen Frau“ zeigt.

Neu ist dabei nicht nur der Blick auf „die heftige Verliebtheit“ der Schriftstellerin in den Komponisten Hans Werner Henze, mit dem sie Mitte der 1950er Jahre in Neapel zusammenlebte und die von den Herausgeberinnen in dem von ihnen so benannten „Neapolitanischen Tagebuch“ erkannt wurde. Auch geben bisher noch nicht publizierte Briefentwürfe an Henze (die Bachmann aber nie abschickte), ihr Nachdenken darüber, ob sie sich in Paris fix ansiedeln soll oder die Erinnerungen an die Überschwemmungskatastrophe 1966 in Florenz Einblick, wie sehr Bachmanns Werk und ihre autobiografischen Aufzeichnungen poetisch miteinander verzahnt sind: „Sie arbeitete sehr übergängig zwischen Kunst und Leben“ (Bengesser).

Senza Casa. Salzburger Bachmann Edition. Suhrkamp, 336 Seiten, 44.50 Euro

Die ausführlichen Stellenkommentare der Editorinnen sind aufschlussreich und weisen auf die hohe sprachliche Qualität auch bei den privaten Aufzeichnungen der Autorin hin. „Für´s Publikum ist das interessant, weil hier so viel Welthaltigkeit drin ist, bei Bachmann versinkt nicht alles im eigenen Leid“, analysiert die Salzburger Germanistin. Und zitiert mit „Das Chaos ist aufgebraucht“ ihre persönliche Lieblingsstelle aus Ingeborg Bachmanns Aufzeichnungen.

Vier Hefte

Nur vier Hefte im Nachlass lassen sich als Tagebuch lesen, denn „eigentlich hat Bachmann das Tippen auf der Maschine dem Handschriftlichen vorgezogen“, erklärt Silvia Bengesser. Für sie, die gewöhnt ist, mit unterschiedlichen Schrifttypen zu arbeiten und „Handschriften relativ gut lesen kann“, waren die persönlichen Aufzeichnungen der Kärntner Autorin dennoch eine große Herausforderung: „Bei privaten Handschriften entgleitet die Schrift oft ins Unlesbare, während man beim Briefe-Schreiben ja versucht, deutlicher zu schreiben, um den Leser zu erreichen.“

Durch alle Notate zieht sich Bachmanns Wunsch nach einem Haus, einer fixen Bleibe, wo man sich wohlfühlt, was der Titel „Senza casa“ verdeutlicht. „Das hat sie, die ständig unterwegs war bei Lesereisen oder prekären Beschäftigungen, immens beschäftigt. Sie hat immer versucht, sich gut einzurichten und Wert auf schöne Möbel gelegt“, zeichnet die Wissenschaftlerin ein Bild der privaten Ingeborg Bachmann. Die bruchstückhaften Textsorten spiegeln ein buchstäblich „verzetteltes“ Leben wider: „Man sieht auch, wie sie es damals schwer hatte als junge Frau, die in der männlichen Welt der Autoren als freie Schriftstellerin existieren wollte!“