Als die Grazer Autorin Cordula Simon in einem Interview feststellte: „Nur weil etwas wahr ist, heißt das nicht, dass wir es auch glauben“, umriss sie prägnant, worum es in ihrem neuen Roman geht. „Mondkälber“ trägt schon im Titel die sprichwörtliche Einfältigkeit des Menschen, der so leicht Trugbilder, Täuschungen und Illusionen als echt akzeptiert. „Wir glauben nur, was wir glauben wollen“, meint die Autorin, die zuletzt mit „Die Wölfe von Pripyat“ (2022) die bitterböse Dystopie eines Überwachungsstaates vorlegte.
In „Mondkälber“, dessen Cover ein Schwarz-weiß-Fotomotiv aus den wilden 20er-Jahren ziert, sind es Verschwörungstheorien, Wissenschaftsfeindlichkeit und Fake News, die als Hintergrund für den Inhalt dienen: Da ist die Erzählstimme eines nicht näher definierten „Subjekts“, das vom Leben mit seinen Freunden Irina und Jewgenij erzählt. Kommentiert werden einzelne Kapitel von einem nebulosen „Dr. Weintraub“. Als eines Abends plötzlich zwei Monde am Himmel stehen, geht das Rätselraten los. „Jewgenij hielt den zweiten Mond für eine Illusion, doch Irina war überzeugt, dass es sich um einen echten Mond handelte, der nun freundlich in unseren Orbit gezogen worden war ... sie wusste genau, was ich von diesen Spinnergeschichten hielt, und dass ich von ihr erwartete, sich eine eigene Meinung zu bilden.“ Dr. Weintraub hat auch eine Meinung dazu, nämlich „dass auch der zweite Mond, selbst wenn er eine Illlusion sei, eine ähnlich starke Anziehungskraft ausüben könne wie der „echte“, denn beide strahlten gleichermaßen.“
Immer absurder und geheimnisvoller wird diese bildreich erzählte Geschichte, die von surrealen Bildern, Träumen und Fabelwesen überzuquellen scheint: „Zwei Monde zankten um die Meere, unser Teichlein verwandelte in Stein, was hineinfiel ...“ Die Selbsterkenntnis kommt spät: „... wir zögern, stolpern, wanken wie betrunken, als hätten wir sieben Leben, aber jedes Mal, wenn wir bemerken, dass der Lichtpunkt, dem wir hinterherspringen, von einem Spiegel kommt, schauen wir belämmert wie ein staundendes, dummes Tier.“ – Wie ein Mondkalb eben.
Karin Waldner-Petutschnig