Es ist eine ganz erstaunliche Karriere – vor allem auch deshalb, weil Ingolf Wunder vergleichsweise spät zu „seinem“ Instrument gekommen ist, binnen kürzester Zeit aber Erfolge feierte: Der Kärntner wechselte erst im Alter von 14 Jahren von der Geige auf das Klavier, und auch das eher durch einen Zufall. Sein sieben Jahre älterer Bruder hat das Instrument gelernt und „ich habe immer wieder darauf herumgeklimpert, aber nie richtigen Unterricht bekommen“, erzählt Ingolf Wunder. Zufällig hörte am Kärntner Konservatorium der Linzer Professor Horst Matthäus dieses „Geklimpere“ – und bot dem jungen Mann an, ihn zu unterrichten: „Meine Eltern waren verrückt genug, mich jedes zweite Wochenende nach Linz zu bringen.“ Zehn Jahre hatte er da schon Geige gespielt und unter anderem gemeinsam mit seinem Vater, einem leidenschaftlichen Hobbymusiker, zu Volksschulzeiten am Klopeiner See für die Touristen Volksmusik gemacht: „Das war ein Spaß!“

Das Klavier war dann aber schnell seine große Liebe, für die er auch die Schule – er besuchte bis dahin das Musikgymnasium in Viktring – schmiss: „Meine Eltern sind beide Lehrer, aber sie haben akzeptiert, dass ich mich auf das Klavier konzentrieren wollte. Sie haben mir die Chance gegeben, ab dem Alter von 14 Jahren meine Entscheidungen selbst zu treffen.“ Und es hat sich ausgezahlt, alles auf eine Karte zu setzen: Bereits wenige Monate nach dem Wechsel nahm er an seinem ersten Jugendwettbewerb teil und gewann den ersten Preis beim „Concorso Internazionale di Musica“ in Italien. Nur ein Jahr nach Beginn des Unterrichts debütierte er im Wiener Konzerthaus, mit knapp 18 Jahren bereits in Paris mit dem Orchestre National de France: „Heute frage ich mich selbst, wie das damals so schnell auf dem Niveau gehen konnte“, erzählt Ingolf Wunder, der nächsten Freitag eines seiner seltenen Kärnten-Konzerte in Völkermarkt geben wird, und zwar auf einem Flügel des Italieners Luigi Borgato, auf dem er einst seine allererste ORF-Aufnahme einspielte.

Aber zurück in seine Jugendzeit, denn irgendwann kamen auch Rückschläge und Zweifel, ob die Karriere als Pianist das Richtige sei. Wunder konzentrierte sich auf sein zweites großes Interessensgebiet, die Technik im Allgemeinen und Informatik im Besonderen. Schließlich beschloss er, unabhängig vom Ergebnis ein allerletztes Mal an einem Klavierwettbewerb teilzunehmen – und gewann 2010 beim berühmten Chopin-Wettbewerb die meisten Preise (darunter den Publikumspreis und den Preis für das beste Konzert). Dass er im Hauptbewerb aber „nur“ Zweiter wurde, wurde international breit diskutiert.

Das Jahr 2010 sollte jedenfalls einen Meilenstein in seinem Leben darstellen: In der Folge spielte er Konzerte in fast 50 Ländern, begleitet wurde er dabei von seiner heutigen Frau Paulina, die er kurz vor dem Chopin-Wettbewerb kennengelernt hatte. Die aus Polen stammende Journalistin hat unter anderem asiatische Kulturen und Sprachen studiert, mit ihr hat er im Jahr 2017 noch vor Corona die Echzeit-Online-Lernplattform „Appassio“ gegründet: „Wir hatten das Gefühl, dass an den Universitäten immer mehr Dinge gelehrt werden, die man für das Spielen eines Instruments nicht braucht und das eigentliche Musizieren immer kürzer kommt. Wir wollten eine Alternative für Lehrer, Studierende und Kunstliebhaber bieten.“ Im Corona-Jahr 2020 startete die Tochterplattform „Appassimo“ für künstlerische Institutionen, die unter anderem von der Universität der Künste Berlin, der Ottawa University, der Gustav Mahler Privatuniversität Klagenfurt oder der Musikhochschule Zürich genutzt wird.

Ingolf Wunder mit seiner Frau Paulina
Ingolf Wunder mit seiner Frau Paulina © Wunder/kk

Dort, in Zürich, lebt Ingolf Wunder seit dem Jahr 2011, von hier aus bricht er auf seine Konzertreisen auf, bei denen er immer öfter auch als Dirigent in Erscheinung tritt oder – wie nächste Woche in Völkermarkt – auch eigene Kompositionen spielt. „Meine Frau hat mich dazu ermutigt, weil sie fand, dass meine Kadenzen (Anm.: Improvisationen eines Solisten) in den Klavierkonzerten von Beethoven und Mozart eine ganz eigene Sprache haben.“

In Zürich pflegt er aber auch eine enge Zusammenarbeit mit der ETH, die zu den besten technischen Hochschulen der Welt gehört: „Wir wollen der Musikalität auf den Grund gehen und schauen uns gemeinsam die DNA der Musik an.“ Mit einer Ergänzung für die Plattform „Appassio“ sollen künftig Musiker ihre eigene Interpretation von Werken erforschen können: „Wir wollen die Technologie nutzen, um die Menschen sensibler zu machen. In weiterer Folge könnten in der Zukunft so auch Werke, die von einer KI stammen und solche, die von Menschen geschaffen wurden, unterscheidbar sein.“ Als Gastredner, wie etwa 2021 beim „Internet Governance Forum“ der Vereinten Nationen, spricht er auch immer wieder über Themen wie Musik und deren Wichtigkeit in einer Welt voller KI und Technologie.

Seinen eineinhalb Jahre alten Sohn Amadeo hält er von technischen Geräten aber noch so weit wie möglich fern: „Nur mit den Großeltern darf er Videotelefonieren, aber er kriegt das Handy dabei nie in die Hand“, sagt Wunder: „Wir alle wissen ja eigentlich, dass es schlecht für die Gehirnentwicklung ist, wenn Kinder zu früh am Smartphone hängen.“ Dafür darf Amadeo schon auf dem Klavier herumklimpern – und das ist durchaus ein Privileg.

Denn für die Anschaffung des Steinway haben einst die Eltern das mütterliche Elternhaus verkauft: „Wir wurden damals von Stefan Knüpfer beraten und wussten gar nicht, dass er eine der ganz großen Koryphäen in dem Bereich ist. Er ist dann jährlich zweimal nach Kärnten gekommen, um das Klavier zu stimmen und er kommt weiterhin nach Zürich. Das ist ein großes Privileg, denn dieses Klavier wurde nur von einer einzigen Person gewartet und von einer einzigen Person bespielt.“ Und jetzt natürlich auch von Sohn Amadeo. Wer weiß, was da für ein neues Pianisten-Talent heranwächst.

Stern für Ingolf Wunder an der Seepromenade am Klopeiner See im Jahr 2017
Stern für Ingolf Wunder an der Seepromenade am Klopeiner See im Jahr 2017 © Erich Varh