„Böhmen liegt am Meer“ sagt Ingeborg Bachmann und im Gedicht “Prag Jänner 1964“ findet sie die Größe der Kindheitssprache. „Seit jener Nacht / gehe ich und spreche ich wieder / bömisch klingt es, / als wäre ich wieder zu Haus.“ Der Dichter Miha Andrejaš findet an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert im Rosental eine kleine slowenische Athene. Zahlreich seien dort die Dichter. In der „Carinthia“ erscheinen in der Gründungsphase ab 1811 slowenische Texte. Ein Geist vom Großen weht durchs Land.

Das Große hatten wir auf der Reise ins Heute immer wieder vor Augen, aber auch immer wieder aus den Augen verloren. Im Gepäck sammelten sich tausende Haus- und Flurnamen und an die 8.000 Liedtexte mit den dazugehörigen Melodien: disharmonische, meist einem Vorsänger nachfolgend, melancholische, traurige; Not und Elend, Krieg und gebrochene Herzen besingend. Die Melodien gaben Kraft.

„Nur keine Bilder, und vor allem keine festumrissenen“ ruft mir Peter Handke dazwischen (P.H., Die Ballade des letzten Gastes, 2023).

Die letzten Jahrzehnte haben Kärnten verändert. Die Literatur trat vor den Vorhang, erklomm die Höhen des Olymps der Weltliteratur. Auch die slowenische. Zwar ging in den Dörfern die Hörbarkeit der slowenischen Sprache zurück, in den zwei- und mehrsprachigen Radiosendungen wird sie ins Land getragen und durch Übersetzungen sichtbar; auf Ortstafeln liest man viele der ursprünglichen Namen wieder, von Jahr zu Jahr werden es mehr. Und das mit den Untertiteln in Fernsehen und den mehrsprachigen Zusammenfassungen in den Medien werden wir auch noch hinbekommen.

Mit den hiesigen Sprachen, unter veränderten Bedingungen umzugehen, hat man gelernt; womit man noch nicht gut zurechtkommt, ist, wie mit den Sprachen der Hergekommenen umzugehen.  Oder, wie man ihnen auch die hiesigen Sprachen, Deutsch und Slowenisch, vermittelt, ohne dass sie ihre eigenen Sprachen aufgeben müssen. Daran können wir uns messen. Sprachen – haben wir in den zwei Jahrhunderten erfahren – sind der seelische Spiegel der Menschenrechte.

Kärnten ist ein geheimnisvolles Land. Es hat so Manches hinter sich gelassen und sich immer wieder neu aufgerichtet. Es trägt alles in sich, um groß zu sein. In den Sprachen, in der Kultur liegt der Zugang zu einem neuen weiten Universum.

Der Dichter Tone Pavček erzählt uns – in seiner poetischen Sprache – folgende Geschichte: Er sinniert über die Welt, die grausig, grob und schrecklich ist. Und widerspricht sich sogleich. Als ihm eines Tages Schlimmes geschieht, sagt zu ihm ein alter, weiser Mann:

`Nie ab jetzt und für immer fürchtet das Leben. ´

Habt es gern, damit euch, dieses Leben auch gernhaben kann.

***

Ne verjemite njim, ki vam pravijo: Ta svet je grozen, grob, grd. Ni res.

Res je, da je lahko še hujši.

Toda za vas je to vaš edini svet, edini, ki v njem živite,

da se v njem udomite in ga v dobrem naravnate po svoji podobi.

Ne verjemite tudi njim, ki vam pravijo: Življenje je trdo, trpko in težko. Ni res.

Res je, da je lahko še hujše.

Toda za vas je to življenje edino, enkratno in neponovljivo. ...

Vaše je, da iz njega naredite vse, kar je v dobrem mogoče.

Ne verjemite komurkoli in karkoli. Verjemite pa, če morete, moji zgodbi:

Nekoč, pred leti, ko me je kot strela z jasnega zadelo hudo,

mi je star mož, živi modrec, dejal:

‚In nikar se odslej ne boj življenja!‘

Tako zdaj jaz govorim po njem podobne besede za vas:

„Ne bojte se življenja! Naj pljuska v vas z vso silo in v vse žile,

naj vas nese ali zanese, le ne pustite, da vas spodnese.

In imejte ga radi, da bo tudi ono, življenje, imelo rado vas!“

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Auch Peter Handke, bei seiner Tischrede beim Bundespräsidenten im Februar 2020, hatte Großes im Sinn:

„Es ist alles viel größer und schöner als man sich das vorstellen kann, was man tun kann als kleiner Mensch aus einem Winkel in Österreich. Was da an Märchenhaftigkeit und zugleich an Wahrhaftigkeit auf einen zukommen kann (…) Ich habe beschlossen, ich stamme aus einem großen Land (…) Es muss nicht die Steppe sein, aber es ist auch die Steppe. Und es ist der Ural. Auch in Österreich ist der Ural. Zum Beispiel die Saualpe, an deren Fuß ich geboren bin, in Stara Vas, in Altenmarkt, in Griffen, das ist die Saualpe, die von Norden bis nach Griffen und Diex reicht, das ist ein Kontinent für mich. (…)

Ich stamme aus Alaska, aus Arizona, vom Ufer des Yukon River, der ins Beringmeer mündet, weiß der Teufel, da kommen wir alle her, aber zugleich kommen wir aus Österreich. Jeder hat präzis seinen Winkel. Rechte Winkel, schiefe Winkel. Nur die Kunst hat Winkel, die 360 Grad haben. Die umfassen die Erde.“

So spricht auch Miha Andrejaš vor gut 200 Jahren. Er brachte Athene ins Spiel. Da sind wir nun angekommen. Da haben wir unseren Kontinent gefunden.

Das ist das Große, nach dem wir bis heute immer wieder suchen, denn wir müssen nicht immer, kaum dass wir ans Große denken, uns in der Kleinheit verirren. Pflegen wir unsere Komponier-Häuschen, beschreiten wir zusammen neue Wege, machen wir das Land zu einer Schule des Denkens. Knüpfen wir Verbindungen zwischen digitaler Konzentration und Wissen. Stützen wir uns auf die geistigen Schöpfungen, die uns Literaten, die Wissenschaftlerinnen, die uns die Ingenieurskunst, die uns die Kochkunst und die klassischen Künste geben.

Unser Mikrokosmos hat alles, um groß zu sein. Aus der Reibung, die die Sprachen und die Kulturen mit sich bringen, erwuchsen Nobelpreis, Weltliteratur und wirtschaftliche Prosperität …

Das ist nicht nichts. Auch Maria Lassnings Sprachbilder und Gedankensplitter öffnen uns mit der „Feder am Fenster“ dieses weit und geben uns von der „lichten Welt“ eine Ahnung.

Frei und ungeteilt in Achtung, Würde und bei den Menschenrechten.

Das haben uns die vergangenen 200 Jahre gelehrt: Groß zu sein.

Unser Winkel hat nämlich 360 Grad.

Spoštovane dame in gospodje, wertes Publikum, lassen Sie mich noch eine Fußnote anbringen, die sich heute am Vormittag ergab.

Peter Handke lässt alle Gewürdigten ganz herzlich Grüßen. Dir, lieber Arthur, lässt er sagen: „Ich werde heute mit meiner Mundharmonika einen Blues spielen und einen Text dazu schreiben. Die Mundharmonika habe ich immer in meiner linken Rocktasche...“