Mixtapes kommen von Herzen. Im allerbesten Fall gehen sie auch zu Herzen. Kommen Sie mit auf meine diesjährige Weltreise in mein Allermusikinnerstes.
Ulver – Nemoralia
Ich beginne mit Tanzmusik von Ulver. Tanzmusik von Ulver?, wird sich vielleicht so manche und mancher fragen. Denn wer Ulver in den 90ern hörte, wird sie nicht wiedererkennen. Die Black-Metal-Wölfe sind zahm geworden, aber alles andere als zahnlos. Mit „The Assassination of Julius Caesar“ legt die Truppe ein grandioses Elektrosynthpop-Album vor. Wenn Wölfe tanzen können, dann dazu. Und weil sie heulen können, werden sie spätestens beim Refrain einstimmen.
Silent Runners – Nobody Here
Auf leisen Sohlen liefen sie daher, im Sommer 2016 in der Hitze Portugals, in den Schatten der Zinnen des Castelo de Leiria. Silent Runners eröffneten das Festival, hatten auf Facebook noch kaum „Freunde“. Ein großer Dank an die Organisatorinnen und Organisatoren für das liebevoll zusammengestellte Line-up – mit den leisen Läufern, die so leise gar nicht waren und nun ein neues Album veröffentlichten. Eine schöne Entdeckung.
The Underground Youth – Amerika
Ich woge in The Sound, in Joy Division, in Sad Lovers and Giants. Die Songs kommen so unscheinbar daher, aber hört man zu, erfährt man, wie Reduktion zur Verdichtung wird. Schlichter Post-Punk-Wave, live erfreulicherweise mit einem Hauch von Punk-Attitüde.
LCD Soundsystem – Oh Baby
Ich möchte Sie noch einmal zum Tanz bitten, bevor ich, nun ja, zu ein paar untanzbaren Stücken komme (wer sich traut, kann mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen und vortanzen). Noch immer nicht bin ich draufgekommen, woran mich die Laute in Takt 4 erinnern. Ab Sekunde 45 aber befinde ich mich definitiv an diesem Ort: in einem Film in den 80ern im Roadhouse in Twin Peaks. Auf einer Party, sehnsüchtig in einer Ecke, während er ...
Oxbow – Letter of Note
Ich weiß nicht, wie oft ich mir „Letter of Note“ in den letzten Tagen angehört habe. Die elegante Verzahnung von experimentellem Rock, Avantgarde-Jazz, Klassik ließ mich anfangs etwas verstört, nein, unsicher zurück. Das liegt auch an der mich überfordernden Bestimmtheit in jedem erdenklichen Gefühlsausdruck in Eugene S. Robinsons Gesang.
Corpo-Mente – Lucil
Phantasiesprachen, Phantasiewelten, phantastische Klänge. Das wohlig-schaurige Gefühl von Aufgehobensein im unwirklichen Schrecken. Eine Sprache, die man nicht versteht, verstehen kann. Genau darin tut sich die Welt der Ahnungen auf.
Diamanda Galás – All the Way
Holotalent Diamanda Galás nahm vielleicht Einfluss auf Laure Le Prunenec, die Sängerin von Corpo-Mente. Heuer legte sie ein Album mit einer radikalen Neufassung von Jazzstandards vor. Und mir ist etwas Unentschuldbares passiert: Ich habe Galás in Wien verpasst. Ich hab einen Tag nach ihrem Konzert im Porgy & Bess von ebendiesem erfahren. Könnte ich an der Uhr drehen ...
Tori Amos – Reindeer King
Tori. Noch immer. Noch immer vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht ein noch unbekanntes, ein unerhörtes, ein überhörtes, ein verstoßenes Lied von dir lieb gewinne. Das geht nun schon seit über zwanzig Jahren so. Schön, dass der Rentierkönig dich immer wieder zurückbringt.
Chelsea Wolfe – Offering
Sie komponiert auch Country-Songs. Sie spannt auch harte, schleppende, doomige Riffs in ihr Klanggewölbe. Sie bringt ihre weiche Stimme mit metallisch-industriellen Presslufthammern zusammen. Whatever works.
Godflesh – Mortality Sorrow
Gründungsjahr 1988. Auflösungsjahr 2002. Gründungsjahr 2010. Und nun, 2017, das Album mit dem schlauen Titel „Post Self“. Hier ein etwas anderes Wiegenlied:
Nine Inch Nails – This Isn’t the Place
Ich konnte mich nicht entscheiden. Wozu auch. Zweimal sollen Nine Inch Nails hier sein. „This Isn’t the Place“ trägt das Gewand, in das sich Wunderwuzzi Trent Reznor vorwiegend seit dem Album „Fragile“ aus dem Jahr 1999 hüllt. Zerbrechliche Schichtungen, die, nach und nach, ganz langsam, von Sandkörnern überspült werden.
Nine Inch Nails – Less Than
„Less Than“ geht stilistisch ziemlich genau zehn Jahre weiter zurück, zu „Pretty Hate Machine“. Zweigt in manchen Klangspuren in die NIN-2000er ab – und kommt genau bei mir an. Vielleicht auch bei Ihnen. Dann können wir gemeinsam tanzen.
Eva Kainrad