Eine Pistole wird allmählich zum wichtigsten Requisit im „Ring des Nibelungen“, den der österreichische Jungregisseur Valentin Schwarz für die Wagner-Festspiele in Bayreuth inszeniert hat. Sie ist das überdeutliche Machtsymbol in der von Gewalt geprägten Atmosphäre, ein sexuell aufgeladener Fetisch, mit dem sich die einzelnen Familienmitglieder immer wieder vor der Nase herumfuchteln. Und sie kommt auch zum Einsatz.
Der „Siegfried“ wird Schwarz anfangs zur bitteren Groteske. Der Ziehvater Mime und der von ihm gehasste kraftstrotzende und trinkfeste Lümmel Siegfried leben ihre eher komplizierte Zweckbeziehung in einer schäbigen WG aus. Die menschliche Verwahrlosung in dieser Hölle muss wohl auch die Seele des bemitleidenswerten, jungen Mannes aushöhlen. Der Berserker Siegfried gibt im zweiten Akt den eh schon am Sterbebett siechenden Fafner den Rest, bevor er Mime mit einem Polster erstickt.
In der schicken Millionärsvilla Fafners trifft er auch den jungen Hagen wieder, eines der von Alberich am Beginn der Handlung entführten Kinder. Beide sind, wie die Walküren, die – vorläufigen – Verlierer im „Ring“. Symbolisierten sie als kleine Kinder im „Rheingold“ noch das Prinzip Hoffnung, so sind die Heranwachsenden alle vom Leben in einer von toxischen Beziehungen, Machtdurst und Gewalttätigkeit geprägten Umgebung korrumpiert. Die Sünden der Väter (und Mütter) haben Verheerungen angerichtet, die irreparabel wirken.
Einer der wesentlichen Aspekte von Wagners „Ring“ ist der Untergang einer alten Ordnung und die Tragödien, die der Versuch, eine neue, liebevollere Welt zu erschaffen, mit sich bringt. Der müde gewordene Wotan hat bereits abgedankt: Vor dem finalen Showdown mit Siegfried nimmt er das Magazin aus seiner Pistole. Dadurch wird der Weg für den Anarchisten und Kraftmenschen Siegfried zum wahren Gefühl frei – der Weg zu Brünnhilde, zum Finale am Wallkürenfelsen. Heldentenor Andreas Schager bemüht sich bei einer der großen, utopischen Szenen der Opernliteratur um Differenzierung. Schager ist ja sonst kein Meister der Zwischentöne, sondern überzeugt meist mit schier unerschöpflicher Ausdauer und dominanter Kraft (für die er vom Premierenpublikum mit Jubel geradezu überschüttet wird).
An seiner Seite eine gibt Daniela Köhler eine blühende Brünnhilde, die weniger Volumen hat, aber dafür mit Wärme und schönen Lyrismen voll punktet. Tomasz Konieczny hat sich von seinem Bühnensturz bei der „Walküre“ gefangen und singt einen humorlosen, grobschlächtigen Autoritätsmenschen. Dass Wotans Rätselszene mit Mime zu einem der musikalischen Tiefpunkte des ganzen „Rings“ wird, liegt nicht an ihm, sondern am Dirigat von Cornelius Meister, der den ersten Akt generell zu konturlos abspult, der Musik und den Motiven viel zu wenig Luft und Raum gibt. Meister steigert sich nach diesem durchwegs flachen Beginn aber von Akt zu Akt (was auch schon bei „Walküre“ merkbar war). Arnold Bezuyen als Mime steigert sich dagegen keineswegs, obwohl er ein Übermaß an vokalen Grimassen scheut, bleibt er stimmlich doch zu sehr im Ungefähren.
Am Freitag geht die Geschichte vom Ring mit der überlangen Episode „Götterdämmerung“ zu Ende, den Regisseur Valentin Schwarz dürfte danach ein Buh-Orkan samt einiger Bravos erwarten, die Meinungen in Kritik und im Publikum sind bisher weit geteilt. Schwarz’ Konzept, den „Ring“ als brutale Familiensaga zu erzählen, ist dem Werk nicht übergestülpt, sondern entnommen. Dass es inszenatorische Leerläufe gibt und manches krude wirkt, ist hinnehmbar. Das größere Problem an diesem „Ring“ ist bislang die musikalische Umsetzung, die trotz einiger Höhepunkte doch an zu vielen blassen sängerischen Leistungen krankt.