Am 2. Jänner 1843 fand in Dresden die Uraufführung von Richard Wagners Oper "Der fliegende Holländer" statt: Das Märchen von einem Kapitän, der dazu verdammt ist, rastlos über die Weltmeere zu segeln, wobei er alle sieben Jahre vor Anker gehen darf, um sich eine Braut zu suchen. Deren Liebe taugte ihm zur Erlösung. Erstaunlicherweise ist die Sage gar nicht so alt und taucht erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. Die Sache mit der Frau, deren treue Liebe den Zauber bricht, hat Heinrich Heine hinzugefügt, der 1834 die Existenz eines Theaterstücks mit diesem Inhalt behauptet hatte (das es natürlich nicht wirklich gab). Die Ironie bei Heine war "meterdick", wie Sandra Leupold sagt. Die Berliner Regisseurin betreut die Neuproduktion an der Grazer Oper, die am Samstag (23. April) Premiere feiert.
Richard Wagner lernte den "Holländer" in der Heine'schen Erfindung kennen (Leupold: "Wagner hat den Stoff einfach gestohlen") und veränderte die wenigen ironischen Zeilen in eine große, musikalische Ballade, in der von Ironie nichts mehr zu spüren ist. Vielmehr bläht Wagner die Handlung ins Mythische auf und benutzt das Stück, um zum ersten Mal sein Lebensthema auszuarbeiten - das Thema der Erlösung eines Mannes durch eine Frau. Sandra Leupold: "Das ist ganz erstaunlich, weil so aus dem Nichts kommt. Dieses Thema kommt aus seiner privatesten Obsession und er hat es gewissermaßen über Nacht in die Welt gebracht." Dabei identifiziere sich Wagner ganz stark mit seinen Titelhelden, so Leupold, und lasse bei der Erlösungsfrage gleichzeitig eine Leerstelle. "Die Frage, wohin diese Männer eigentlich erlöst werden, das entzieht sich einer genauen Beschreibung." Zentral sei die Aufopferung der Frau, für Leupold, ein Akt der "totalen Unterwerfung", was für Wagner geradezu Fetisch-Charakter gehabt habe.
Leupold will aber nicht zu sehr über die psychologischen Motive Wagners und die Gründe für seine fixe Idee spekulieren: "Wir wissen ja nichts darüber, wir können auch nur wähnen. Ich habe so meine Mutmaßungen, wenn man sich die extrem komplizierte und leiderfüllte erste Ehe Wagners mit Minna Planer ansieht."
"Der Subtext der Erlösungs-Thematik wäre, dass es bei Wagner immer um die Überwindung des Status Quo geht." Und das ist ganz politisch gemeint. Leupold bezieht sich dabei auf Wagner als Revolutionär, der ja in seinen jüngeren Tagen tatsächlich auf die Barrikaden gestiegen ist, und dessen revolutionäre Haltung ihm als Künstler erhalten geblieben ist. Etwas Revolutionäres, das auch den "Holländer" kennzeichnet. In der Musik von Holländer und Senta ist die Wagner´sche "Zukunftsmusik" schon vorgebildet. Der Rest von Wagners Komposition, ist weniger zukunftsweisend, auch weil die Nebenfirguren wie Daland und Erik nicht nur musikalisch schablonenhaft sind. Leupold zu dieser Eigentümlichkeit: "Wagner hat rund um das, was ihn wirklich interessiert hat, eine Opernhandlung geschustert. Den Daland scheint er bei der Arbeit an der Oper irgendwann vergessen zu haben, der verschwindet aus der Handlung."
Auch dieses offensichtliche Desinteresse am sozialen Gefüge der Figuren ist der Grund, warum Leupold es für verfehlt hält, aus diesem Stück zweier schicksalshaft verbundener Personen ein bürgerliches Drama zu machen: "Das ist es eine Theaterästhetik, die es zur Entstehung des ,Holländers' noch gar nicht gegeben hat. Dieser Realismus von Henrik Ibsen etwa. Wagner hat in keinster Weise Interesse am Realismus."
"Der fliegende Holländer" von Richard Wagner. Ab 23. April in der Grazer Oper. www.grazer-oper.at