Der Dirigent Franz Welser-Möst glaubt nicht an ein Comeback von Anna Netrebko nach Absagen von der und für die Opernsängerin. Man habe "schon gewisse Abnützungserscheinungen in ihrer Stimme" gehört. "Wenn sie jetzt drei Jahre nicht singt? Es gibt späte Comebacks, aber ich glaube nicht daran. Sie hat keine Agentur mehr, auch keine Plattenfirma. Und es geht ja nicht einfach um die Sängerin Netrebko, sondern um die Marke. Und die ist ziemlich kaputt", so Welser-Möst im "Kurier".
Die russisch-österreichische Sopranistin Anna Netrebko war seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine aufgrund ihrer indifferenten Haltung gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin mit zahlreichen Absagen von Veranstaltern und Opernhäusern konfrontiert und hat Anfang März angekündigt, sich bis auf Weiteres aus dem Konzertleben zurückzuziehen. Welser-Möst plädiert in dem Interview dafür, "kein Pauschalurteil über alle Russen zu fällen", sondern zu differenzieren.
Beim russischen Dirigenten Valery Gergiev (auch: Waleri Gergijew) und Netrebko sieht er aber "die rote Linie überschritten, indem sie einen Kriegstreiber unterstützen oder sich nicht distanzieren". Der Chefdirigent des Cleveland Orchestra hätte sich eine Distanzierung der Künstler von Putin erwartet: "Niemand ist ohne Fehler. Aber man muss dann auch die Größe haben, zu sagen: Da bin ich falsch gelegen. Das hätte hier passieren müssen." Nicht in Ordnung findet Welser-Möst aber, wenn russische Künstler, die es sich nicht bequem gemacht haben im System Putin, nur aufgrund ihres russischen Passes herausgeworfen werden. "Das ist die Kehrseite der Medaille, wenn dann plötzlich Moralisten aus allen Löchern kommen, die davor sehr gern auf die Cashcow gesetzt haben."
Auch der in der früheren Sowjetunion geborene deutsche Pianist Igor Levit äußert sich kritisch über Anna Netrebko – im Zusammenhang mit ihrer Erklärung, es sei nicht richtig, Künstler zu zwingen, ihre politische Meinung in der Öffentlichkeit zu äußern und ihr Heimatland anzuprangern, sie sei kein politischer Mensch. "Das ist eine ziemlich bemerkenswerte Positionierung. Denn für wie blöd hält man uns eigentlich? Wenn man sich mit einem prorussischen Separatisten in einer russischen TV-Show in der Ostukraine abbilden lässt und eine Landesannexion feiert und sich dann ein paar Jahre später hinstellt und sagt: 'Ich bin unpolitisch', dann kann ich so eine Aussage nicht ernst nehmen. Das ist die positivste Formulierung, die mir dazu einfällt", sagte Levit in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Presse".