Der Musikverein für Steiermark hat zwei Weltkriege, mehrere Weltwirtschaftskrisen und den Zusammenbruch 1945 überlebt, aber nie zuvor in den 207 Jahren seines Bestehens eine dermaßen lange Spielpause wie jene wegen Corona überstehen müssen. Generalsekretär Michael Nemeth steckt dennoch voller Zuversicht: „Der Besucherstrom nimmt wieder Fahrt auf, wir haben bis Juni 2022 eine sehr gute Auslastung.“ Gewiss: Der Aboverkauf laufe „zurückhaltend“ und generell reagiere das Publikum viel kurzfristiger auf das Konzertangebot. Auch auf der Künstlerseite sorgt die Pandemie noch immer für Unwägbarkeiten und Zögerlichkeit bei den Planungen von Tourneen und Konzerten.

Von Igor Levit bis Riccardo Muti

Umso erstaunlicher ist, dass die 208. Saison des Musikvereins 2022/23 ein volles Programm mit weit mehr als 50 Projekten bringt, einige Nebenreihen noch gar nicht mitgezählt. Das Haus brummt derzeit wieder und bleibt auch in der kommenden Saison ein Bienenstock. Nemeth hat ein Programm zusammengestellt, dem man Weltformat attestieren darf: Beispielsweise den vierteiligen Solisten-Zyklus, bei dem die Pianisten Rudolf Buchbinder, Igor Levit und Daniil Trifonov sowie Schlagwerker Martin Grubinger auftreten werden.

Bei den Dirigenten wird im April 2023 die letzte dem Musikverein noch fehlende große „Trophäe“ präsentiert: Riccardo Muti dirigiert ein Gastspiel der Wiener Philharmoniker. Mit Markus Poschner, Andrés Orozco-Estrada, Semyon Bychkov und Gabriel Feltz sind die weiteren Gastdirigenten handverlesen. Rückgrat des Orchestergeschehens bleiben die Grazer Philharmoniker, die mehrfach von ihrem Chef Roland Kluttig dirigiert werden.

Besondere Höhepunkte 2022/23: eine konzertante „Fledermaus“ mit Rollendebüts von Mauro Peter und Christiane Karg, ein Bruckner-Schwerpunkt, ein Chorkonzert des Wiener Staatsopernchors, das Brahms-Requiem mit dem L’Orfeo Barockorchester, das amerikanische Emerson Quartet auf Abschiedstournee usw.

Dass es im Musikverein nicht um die Präsentation von Stars, sondern um die Grundversorgung der Steiermark mit Musik geht, zeigt allein der Umstand, dass man Tagesprogramme anbietet, die vor allem für betagte Musikfreundinnen und -freunde interessant sind: Salonkonzerte im kleinen Kreis am Nachmittag und öffentliche Orchesterproben am Vormittag. Dazu kommen Jazz-Lounges, eine Kinderkonzert-Reihe, Einführungen. Ob der Vielfalt und des geänderten Publikumsverhaltens sind die Abonnements wesentlich flexibler gestaltet.

Der Musikverein, der neben Stefaniensaal und Kammermusiksaal auch den Blauen Salon im Congress bespielt, wächst noch immer weiter: Ab der Saison 2023/24 bindet man den Dirigenten Ádám Fischer mit einem jährlichen Haydn-Fest ans Haus. In drei Jahren werden mehr als 30 Konzerte mit Symphonien, Oratorien und Solokonzerten aufgeführt. 2024 ist außerdem die Gründung eines Youth Orchestra of Alpe-Adria mit dem Landeskonservatorium angedacht.

Verglichen mit solchen Plänen ist die Unterstützung der öffentlichen Hand schmal: Land Steiermark und Stadt Graz subventionieren das Haus mit kaum mehr als 300.000 Euro, was bedeutet, dass man (vor der Pandemie) einen Eigendeckungsgrad von 84 Prozent erreicht hatte. Ohne starkes Sponsoring ginge da gar nichts. Dass der Musikverein inhaltlich und größenmäßig längst dem uralten Subventionsschema entwachsen ist, könnte sich aber nun langsam auch bei der Kulturpolitik herumsprechen.

Infos, Karten: www.musikverein-graz.at