Welche Bedeutung hat gerade dieser Auftritt für Sie? Welche Bedeutung hatte Corona? Wie haben Sie die Lockdown-Zeit verbracht?

JULIAN RACHLIN: Da sind einerseits die Gedanken an die vielen tragischen Fälle, die dieses Virus verursacht hat. Nicht nur an die Menschen, die ihm zum Opfer fielen, sondern zum Beispiel auch an die vielen freischaffenden Musiker, die nirgendwo angestellt sind und keiner Kurzarbeit nachgehen konnten, die also knapp am Ruin standen. Um mich selbst geht es da gar nicht. Ich habe diese Zeit mit meiner Familie sehr positiv genützt, ohne Musik, ohne Stress, um viele Dinge zu erledigen, für die ich vorher keine Zeit hatte.

Sie haben ja noch ein interessantes Jahr vor sich, zum Beispiel als künstlerischer Leiter des Festivals „Herbstgold“ im September in Eisenstadt?

Daran denke ich schon mit großer Freude. Ich glaube, wir können ein tolles Programm offerieren, haben weltbekannte Orchester zu Gast und große Dirigenten wie Daniele Gatti. Das Abschlusskonzert ist Ludwig van Beethoven gewidmet, der in „seinem“ Jahr 2020  eher zu kurz kam. Klaus Maria Brandauer tritt dabei als Beethoven auf, und er hat mir versprochen, sich dafür etwas Spannendes zu überlegen.

Weil auch Daniele Gatti kommt: der war ja, neben Ihrer Mutter Sophie und Mariss Jansons, einer Ihrer Lehrmeister als Dirigent. Was konnten Sie von diesen bedeutenden Menschen vor allem lernen?

Die Demut vor dem Beruf. Glamour war ihnen überhaupt nicht wichtig, ebenso wenig, dass sie als große Dirigenten galten. Am wichtigsten war ihnen, wie sie bei den Proben mit ihren Orchestern umgingen, der psychologische Bund, der dabei entstand. Und wie sie mit den großen Werken umgingen.

Der Dirigent Julian Rachlin steht ja vor einem großen Schritt. Erstmals werden Sie für Opern am Pult stehen?

Ja, im März 2023 dirigiere ich an der Volksoper den „Figaro“, ein Jahr darauf „Eugen Onegin“.

Hat es einen besonderen Grund, dass der „Figaro“ am Anfang steht?

Es ist eine Erinnerung an meine Wurzeln. Ich kam ja bereits im zarten Alter von drei Jahren mit meiner Familie nach Wien, und seither habe ich für die Ouvertüre des „Figaro“ gefühlte hundert Jahre das Staberl geschwungen. Und dass im zweiten Jahr ein russisches Werk dran ist, ist mir wegen der Sprache wichtig, weil ich ja Russisch spreche. Im übrigen war Tschaikowsky ein großer Mozart-Bewunderer.

An welcher Stelle der Skala steht das Dirigieren heute für Sie?

RACHLIN: Es hat begonnen, in den letzten 15 Jahren eine immer größere Rolle zu spielen. Mittlerweile behält es etwa im Verhältnis 60:40 die Oberhand, was ja auch meinem Alter entspricht.

Apropos Alter: Sie sehen ja noch fast jugendlich aus?

Musik hält eben jung. . .

Ein sehr wesentlicher Teil Ihres Lebens war auch die Freundschaft zu Udo Jürgens. Wann ist die entstanden?

1995 bei einem Konzert in Salzburg, bei dem auch Mariss Jansons war. Udo hatte von seinem Verleger für die Festspiele zwei Tickets erhalten, eines für einen Opernbesuch, das zweite für mein Konzert. Ich empfand das als unsagbares Glück, wir wurden an diesem Abend bekannt gemacht, und es entstand nicht nur eine große Freundschaft, sondern wir haben zeitweise auch in der Wiener Innenstadt zusammen gewohnt.

Haben Sie Lieblingslieder von ihm?

Zum Beispiel „Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient“, das war angeblich Jochen Rindt gewidmet, und natürlich den Eurovisions-Siegestitel „Merci chérie“.

Jetzt haben Sie schon so viel erreicht, gibt es da noch Spezialwünsche?

Längst geht es nicht mehr darum, etwas zu erreichen, sondern nur noch darum, die großen Komponisten und ihre Werke zu beleuchten. Sowohl als Musiker als auch als Professor am Konservatorium in Wien und jetzt als künstlerischer Leiter des Festivals „Herbstgold“. Eisenstadt, das ist mein großer Wunsch, soll im Osten Österreichs zum Ort der Begegnung werden. Und ich möchte weiterhin meinen Horizont erweitern, das Dirigieren von Opern wird dabei gewiss eine Riesenwelt für sich. Langweilig wird mir bestimmt nicht. Wie vielen großen Sportlern geht es mir auch nicht darum, unbedingt etwas zu erreichen, sondern darum, dass man etwas so sehr liebt.