Genau da ist Astor Piazzolla – und die Linie, der du folgen musst!“, rief Nadia Boulanger, als sie in Paris ihren Studenten Tangos auf dem Piano spielen hörte, wie er es zuvor in den Bordellen von Buenos Aires getan hatte. Er solle doch alle anderen seiner Manuskripte, in denen Einflüsse von Strawinsky, Ravel, Hindemith, von Bach, Jazz & Co unüberhörbar waren, einfach wegschmeißen.
Ein drastischer Rat, der aber den Weg zu einer Weltkarriere ebnete. Der Argentinier, der seine Kindheit mit Familie in New York verbracht hatte, besann sich seiner Wurzeln, griff zum Bandoneon und wurde mit der kleineren Schwester des Akkordeons zum Pionier des „Tango Nuevo“.
Wahre Aficionados rümpften zunächst die Nase über Piazzollas Neudeutung des „traurigen Gedankens, den man tanzt“, wie er sich um 1870 in den Hafenvierteln seiner Heimatstadt entwickelt hatte. Und noch heute fehlt bei der Transponierung alter und neuer Tangos auf Konzertbühnen oft das Dreckige unter den Fingernägeln.
Aber es gibt immer wieder so erfrischende wie tiefgängige Verbeugungen vor dem König des Tangos, dessen 100. Geburtstag man morgen feiert. Eine davon kommt vom Oberton String Octet. Vorigen Sommer spielte der famose Achter ohne Steuermann, besetzt mit einer Slowenin, einer Kroatin, einem Italiener, zwei Ungarinnen, einem Ukrainer, einem Letten und einem Österreicher, das Programm „Acht Jahreszeiten“ mit Musik von Antonio Vivaldi und Astor Piazzolla. Gleich danach war man für die Premiere im Studio, denn „Tangos von Piazzolla im Streichoktett gab’s noch nie“, versichert der Grazer Cellist Floris Fortin (25). Nun erschien - auch mithilfe von Crowdfunding - zum Jubiläum die CD „Tangabile“, auf der das junge, dynamische Ensemble Klassiker Piazzollas von „Libertango“ bis „Muerte del Angel“ von allen 32 Saiten virtuos betrachtet. Schön traurig, traurig schön.
Oberton String Octet. Tangabile. Erhältlich (auch via Crowdfunding) über obertonstringoctet.com
Michael Tschida