Charisma kann man nicht kaufen. Riccardo Muti hat es im Überfluss geschenkt bekommen. Der 1941 in Neapel geborene Dirigent ist ein Maestro alten Schlags. Ein Orchesterdompteur mit schwungvoller Frisur, stylish und gesellschaftsfähig, ja Jetset-tauglich. Ein Mann, mit der Aura der großen Klassikwelt, ein Künstler mit Temperament und Klasse. Ein Sechszehnender aus einer langsam verschwindenen Künstlerschlag.
Nach seinem Erfolg beim Cantelli-Dirigierwettbewerb 1967 ging Mutis Karriere steil nach oben, er wird Musikdirektor in Florenz, debütiert bei den Salzburger Festspielen und übernimmt von der Dirigenten-Legende Otto Klemperer das Philharmonia Orchestra in London. Er steigt zu einem der Stardirigenten der Zeit auf, bevor er 1986 die Mailänder Scala von Claudio Abbado übernimmt. Der Beginn einer langen Beziehung, die mit 2005 im Unguten endet.
Muti ist vor allem im italienischen Fach daheim, sorgt sich dort aber auch um Raritäten. Legendär sind seine Bemühungen um die frühe romantische Oper Italiens, um Luigi Cherubini und Gasparo Spontini sowie unbekanntere Stücke von Giaocchino Rossini. Bis heute ist er in Sachen Verdi eine Autorität. Kaum jemand dirigiert die Werke Verdis heute mit so viel Gefühl fürs italienische Idiom, mit so viel Feuer, ohne oberflächlich plakativ zu werden. Riccardo Muti hat auch ein Faible für die „deutschen Meister“, für Schubert, Bruckner, Beethoven und Mozart. Seine eleganten Mozartinterpretationen galten einmal als Nonplusultra, klingen heute aber ein wenig altmodisch und glatt.
Den Wiener Philharmonikern ist er schon lange verbunden, 2021 ist sein sechstes Neujahrskonzert. Für Strauß bringt Riccardo Muti Energie, aber auch enormes Feingefühl für die Melancholie dieser Musik mit. Und er hat viel Respekt vor dieser Musik: Vor seinem ersten Neujahrskonzert 1993 hätte er nächtelang nicht schlafen können: „Es ist schwierig, diesem Orchester mit diesem Repertoire gegenüberzutreten.“