Unitel nutzte die Verbannung des Publikums im vergangenen Dezember zu Aufnahmen im Theater an der Wien unter Idealbedingungen. Techniker wuchteten einen Kamerakran ins Parterre, William Christie und sein formidables Ensemble Les Arts Florissants reisten trotz Lockdowns aus Paris an. Gemeinsam mit dem Cast, der hier schon 2014 mit Rameaus „Platée“ rauschende Erfolge gefeiert hatten, entstand eine ausgefeilte Referenzaufnahme, die im gehetzten Opernalltag schwer verwirklichbar gewesen wäre.
Witzige mythologische Stoffe haben Seltenheitswert. In Jean-Philippe Rameaus „Platée“ nehmen die sonst eher humorlosen Götter sich und ihre Obsessionen selbst aufs Korn. Jupiter will seiner stets und mit gutem Grund eifersüchtigen Gattin Juno eine Lektion erteilen. Gemeinsam mit olympischen Kollegen inszeniert er seine Hochzeit mit der berüchtigt hässlichen und dennoch sehr von ihrer Unwiderstehlichkeit überzeugten Sumpfnymphe Platée. Junos Empörung schlägt in Hohngelächter um.
Robert Carsens zentraler Regieeinfall macht den Abend zum Vergnügen. Der Göttervater ist unverkennbar Karl Lagerfeld, seine Ehefrau ähnelt Coco Chanel, aberwitzige Modeschauen ersetzen die Ballette. Der Abend nimmt nicht nur die Dekadenz der Modebranche, sondern auch die Bussi-Bussi-Gesellschaft aufs Korn, die ihr huldigt. Gute zwei Stunden lang sehen wir alle Varianten von Nähe, die Gott und die Regierung verboten haben, kurz, ein paar Stunden alte Normalität.
Glanzvoll wie einst bei der Premiere dominiert der niederländische Tenor Marcel Beekman die Szene. Selbstvergessen stürzt er sich in die groteske Rolle der quakenden Ausgeburt an Hässlichkeit und gewinnt Rameaus kunstvollen Tongirlanden ein Höchstmaß an Witz und Ausdruck ab. Neu im durchwegs hervorragenden Cast ist Jeanine De Bique, die vor Wochen hier Gershwins Bess verkörpert hat. Barockmusik war ihr bisher fremd und ist es geblieben. Die gospelhafte Verfremdung erhöht aber eher den Reiz ihrer Darstellung der Folie, also der Narrheit. Nicht versäumen!
Thomas Götz