Auch Sie waren ja vom Corona-Lockdown betroffen. Wie haben Sie diese Zeit verbracht?
REGULA MÜHLEMANN: Mit meinem Freund Claudio zu Hause in Luzern. Er ist Unternehmer, im Kaffeehandel tätig. Und gelernter Koch – dementsprechend haben wir guten Frühstückscappuccino getrunken, gut gegessen, und an fabelhaftem Wein hat es auch nicht gefehlt. Außerdem habe ich in der langen Pause gelernt, Sauerteigbrot zu backen. Trotz der schönen Dinge war das natürlich keine einfache Phase. Aber immerhin boten diese sechs Monate zu Hause Gelegenheit, viel Zeit mit meinen liebsten Menschen zu verbringen.
Zum Beruflichen: Wolfgang Amadeus Mozart. Ihm haben Sie ja Ihr neues Album gewidmet, und heute treten Sie als Blonde in der „Entführung“ an der Staatsoper auf. Was bedeutet Mozart für Sie?
Mozarts Musik zu interpretieren, ist fast das Schwerste, was es gibt. Und gleichzeitig das Einfachste. Ich glaube, das liegt an der Ehrlichkeit dieser Musik. Man sagt ja, Mozart sei zu leicht für Kinder und zu schwer für Erwachsene. Kinder „spielen“ nicht eine Rolle, sie „sind“ diese Figur. Und darin liegt vielleicht das Geheimnis. Man darf Mozart-Rollen nicht „spielen“, man muss sie sein. Denn schon die kleineren Partien haben ein genaues Profil und gehen sehr in die Tiefe. Sie sind realistische Persönlichkeiten. Er muss ein unglaublicher Menschenkenner gewesen sein. Durch seine Musik kann man eigentlich sehr leicht in diese Figuren eintauchen. Man muss ganz genau hinschauen und hinhören, doch dann erkennt man deutlich: Es ist wirklich alles da.
Was ist bei der Interpretation also am wichtigsten?
Echtheit, Natürlichkeit. Ich habe bei Mozart unglaublich viel über mich selbst gelernt. Ich habe ihn immer als meinen besten Lehrer bezeichnet. Ja, schon, ab und zu beißt man sich an ihm die Zähne aus, doch am Ende tut es gut. Ich merke sofort, wenn jemand Mozart singt und ihn „nicht so meint“.
Was wäre zu Ihrer Figur in der „Entführung“ anzumerken?
Die Blonde ist sängerisch witzig, keck, frech, selbstbestimmt und emanzipiert, vom Charakter her also total spannend und sehr modern. Auch ist die „Entführung“ ein wunderbares Ensemblestück, schon allein dieses Quartett! Und man kann voll hineingreifen ins Leben.
Kann eine Aufführung bei Ihnen sehr emotional werden?
Absolut. Als ich zum Beispiel 2018 in Luzern in Charles Gounods „Roméo et Juliette“ mitwirkte, also, was da bei mir gefühlsmäßig abging! Ich frag mich noch heute, wie man bei so vielen Emotionen noch singen kann. Aber am Ende habe ich es geschafft – zu weinen und gleichzeitig zu singen ...
Wie kommt man aus solchen Gefühlszuständen wieder raus? Es heißt, Sie seien manchmal schon mitten in der Nacht nach Hause aufgebrochen?
Nicht mitten in der Nacht. Doch es geschah oft, dass ich, nach langer Produktionszeit, gleich am nächsten Morgen den ersten Flug oder Zug nahm, um mit meinem Partner, der er seit 15 Jahren ist, zusammen zu sein. Als junge Sängerin reist man ja viel herum. Zu Hause mit einem geliebten Menschen Zeit zu verbringen, und seien es auch nur zwei Tage, ist dann ein kostbares Gut.
Sie scheinen bei Ihren Kollegen sehr beliebt zu sein. Einer hat einmal, als Sie zur Probe erschienen, gesagt: „Jetzt geht die Sonne auf!“ Darauf waren Sie sicher besonders stolz?
Ich glaube, ich bin einfach ein anständiger Mensch. Ich habe viel Respekt vor den Kollegen, bin sehr harmoniebedürftig, und Aufführungen sind immer Ensembleleistungen. Das Team ist alles. Deshalb versuche ich stets, den Kollegen meine Wertschätzung zu zeigen. Und ja, prinzipiell glaube ich, dass ich ein leichtes Gemüt habe, dass ich positiv an alles herangehe. Der Beruf ist schwer genug, da hilft es sicher, wenn man eine gewisse Leichtigkeit mitbringt, ohne von der Ernsthaftigkeit der Arbeit abzulenken.
Sind Sie süchtig nach Applaus?
Nein. Süchtig bin ich nach dem, was vor dem Applaus ist. Was mich glücklich macht, ist das gemeinsame Musizieren und die starke Energie, die dann plötzlich in einem Raum entstehen kann. Natürlich auch zwischen Publikum und Bühne.
Haben Sie noch große Wünsche, große Pläne?
Ich lebe sehr stark im Jetzt und habe große Freude mit meinem Beruf. Das hat mich, denke ich, dorthin gebracht, wo ich jetzt bin. Und ich hoffe, dass ich mir diese Freude und Faszination bewahren kann. Ich bin glücklich mit meinem Leben, habe immer öfter das Gefühl, dass ich mit mir im Reinen, irgendwie „angekommen“ bin. Es gibt keine offenen, unausgesprochenen Dinge, und das bringt sehr viel Ruhe in mein Leben.
Luigi Heinrich