Salzburg anno Coronae: Die Buhlschaft höchstpersönlich sagte einem, wie man sich zu verhalten hat. Und der Jedermann auch, auf Englisch: Vor Beginn der jeweiligen Vorstellungen wiesen per Tonbandansage Caroline Peters und Tobias Moretti auf die Sicherheitsbestimmungen hin und empfahlen, die Schutzmaske auch während der Aufführung und bis nach dem Applaus zu tragen. Das hielt schon bei der ersten Premiere – „Elektra“ von Richard Strauss – einige Besucher nicht davon ab, ihre Bravi lautstark und ungefiltert in die Felsenreitschule zu schleudern. Bei denen hätte selbst der Tod vulgo Peter Lohmeyer als Ansager wohl nichts genützt.
Wenigstens waren die Ovationen – wohl auch so eine Art befreiende Freudenschreie nach der langen Zwangspause – sehr berechtigt.
Zwar konnte man an den grandiosen Erfolg mit der „Salome“ 2018 nicht unmittelbar anschließen. Aber die „Elektra“ geriet dennoch zu einer beeindruckenden Eröffnung dieser außergewöhnlichen Festspiele. Regisseur Krzysztof Warlikowski formte das antike Drama zu einer psychologisierenden Familienaufstellung im Hause Agamemnon, Au(s)rine Stundyte verlieh der Elektra markantes Profil.
Der eigentliche Operntriumph gelang jedoch mit einem Werk, das ursprünglich gar nicht geplant war. Intendant Markus Hinterhäuser setzte Mozarts „Così fan tutte“ zu aller Überraschung neu in das wegen Corona stark reduzierte Programm, die deutsche Dirigentin Joana Mallwitz (34) erstellte mit Regisseur Christof Loy eine um 50 Minuten abgespeckte, ohne Pause spielbare Strichfassung. Der Ausnahmefall wurde zum Glücksfall. Gekürzt, asketisch, auf die Essenz reduziert: Nein, so machen’s nicht alle.
Durchwachsener fällt die Bilanz der Schauspielpremieren aus: Die Uraufführung von Peter Handkes „Zdenek Adamec“ geriet Regisseurin Friederike Heller trotz imposanter Besetzung zum Herumsteh- und Deklamiertheater, Michael Sturmingers „Jedermann“-Inszenierung aus dem Jahr 2017 zeigte einige Verschleißerscheinungen. Den größten Eindruck machte die kleinste Produktion: „Everywoman“, Milo Raus Meditation über das Sterben. Theater, das man mit nach Hause nimmt; das Solo der außerordentlichen Ursina Lardi klingt lange im Gedächtnis nach.
Ein Triumph waren diese Jubiläumsfestspiele schon, weil sie überhaupt stattgefunden haben. Und weil sie sich, mit adaptiertem Programm, geschrumpften Kapazitäten und strengem Sicherheitskonzept, als taugliches Modell für ein Kulturgeschehen trotz Corona erwiesen haben: So machen’s künftig alle? Zumindest kann kann es so grundsätzlich gehen, (angepasst) auch in Landes- und Stadttheatern, auf Konzert- und Kleinkunstbühnen.
Salzburg, Leuchtturm des Kulturbetriebs, trotz aller Abstriche. Auch wenn es statt der ursprünglich geplanten 200 Vorstellungen an 44 Tagen bloß 110 Vorstellungen an 30 Tagen waren. Und nur knapp 80.000 anstelle der vorgesehenen rund 240.000 Karten. Allerdings: Dass am Eröffnungswochenende noch 6000 Tickets auf Käufer warteten, war laut Pressesprecherin Ulla Kalchmair zwar anteilmäßig „ein normaler Wert“. Aber dass es für die „Così“ trotz halbierter Kapazität neun Tage vor der Premiere noch Karten gab und man bis zuletzt für einen Gutteil des Theater-, Opern- und Konzertprogramms online noch Tickets kaufen konnte, deutet auf eines hin: Auch Angst und Vorsicht waren heuer treue Besucher.
Jenseits der Festspiele wirft das vor Saisonbeginn im Bühnen- und Konzertgeschehen die nicht unbeträchtliche Frage auf, was es mittel- und langfristig heißt, wenn die Häuser ihre Türen öffnen, aber das Publikum aus Angst vor Ansteckung zuhause bleibt. Nicht zuletzt angesichts immer wieder ausschlagender Infektionsraten und eines Ampelsystems mit eingebauter Kulturunterbrecherfunktion. Vorerst aber freut man sich mit dem Festspiel-Team nach 30 Tagen Anspannung über das erfolgte Wunder.
„Unfassbar. Schön. Grandios“, so fasste es einer der – unterm Jahr 200, im Sommer inklusive aller Künstler 3500 – Festspielmitarbeiter zusammen: „Schlaflose Nächte, Pläne schmieden, Pläne erneuern, tagelange Sitzungen. Alles hat sich ausgezahlt.“
Gemeinsam mit Hinterhäuser hatte Helga Rabl-Stadler an allen Fronten für all diese Wunder gefochten. Und die „Löwin von Salzburg“ (© Franz Welser-Möst), die unter den besonderen Umständen bekanntlich noch ein Jahr als Präsidentin anhängt, ließ auch während der 30 Festspieltage nicht eine Sekunde locker. Nach dem Klavierrecital von Daniel Barenboim, der den Jahresregenten Beethoven und selbst 70 Jahre Bühnenpräsenz und 55 Jahre Treue zu Salzburg feierte, rief sie voller Inbrunst in das sich leerende Festspielhaus: „Bitte kommen Sie alle wieder!“ Ein frommer Wunsch, der auch schon für die Festspiele 2021 gelten kann, und für den Kulturbetrieb insgesamt. Sie brauchen’s alle.
Ute Baumhackl & Michael Tschida