Von 3. bis 13. September will man bei dem neuen Festival Bayreuth Baroque Preziosen des barocken Repertoires im frisch renovierten Markgräflichen Opernhaus und weiteren Standorten der Wagner-Stadt zum Besten geben - sollte Corona den Plänen nicht doch noch einen Strich durch die Rechnung machen. Ein Gespräch mit dem für die Proben in Athen weilenden Max Emanuel Cenčić über Gesang im Kerzenschein, arme Komponisten und den Luxus, nicht mehr wollen zu müssen.

Wie jedes Festival stand und steht auch Bayreuth Baroque unter dem Damoklesschwert der Corona-Pandemie. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es klappt, am 3. September durchzustarten?

Max Emanuel Cenčić: Wir werden unser Bestes geben. Die Hoffnung stirbt zuletzt! Die Situation ändert sich ja permanent. Aber wir werden alles tun, in Zusammenarbeit mit den Behörden die Sicherheit der Besucher zu gewährleisten. Natürlich sind da kreative Lösungsansätze verlangt - aber Kreativität ist ja unser Job! Die fixen Entscheidungen, wie genau alles aussieht, werden letztlich eine Woche vorher gefällt.

Die Idee, zur Vermeidung von Pausen wie etwa bei den Salzburger Festspielen Stücke zu kürzen, stand nie im Raum?

Max Emanuel Cenčić: Unsere Stücke kann ich nicht kürzen! Unser Eröffnungswerk "Carlo il Calvo" von Nicola Porpora wurde seit 300 Jahren nicht gespielt. Der Grund, weshalb die Leute nach Bayreuth kommen wollen, ist ja, dass wir das Werk in seiner Gesamtheit präsentieren. Wir spielen nicht wie Salzburg die altbewährten Stücke, die jeder auswendig kennt. Bei uns hört man etwas zum ersten Mal und kann es danach nicht einfach auf Spotify nachhören.

Haben Sie eine Erklärung, weshalb große Werke wie "Carlo" über Jahrhunderte in der Versenkung verschwunden sind?

Max Emanuel Cenčić: Wir reden hier von einem sehr exotischen Opernrepertoire, das man nur selten live erleben kann. Die neapolitanische Schule wird kaum inszeniert, weil es eine Musik ist, die stilistisch weit entrückt ist von unserer Komfortzone. Die Rezitative sind lang, die Handlung verworren und die Arien extrem schwierig. Mit einem modernen Orchester kann man einen Porpora, einen Leonardo Vinco oder einen Johann Adolph Hasse gar nicht im besten Licht präsentieren. Das ist alles extrem virtuos und bereitet vielen Mühe. Deshalb muss man auch erst einmal Sänger finden, die sich zutrauen, das zu singen. Viele lassen nämlich gleich die Finger davon.

Zugleich ist doch Händels Bühnenwerk mittlerweile wieder im Repertoire etabliert...

Max Emanuel Cenčić: Und Händel ist von der Gruppe der Neapolitaner extrem beeinflusst worden. Diese Komponisten waren aber - anders als Händel - am Ende ihres Lebens keine Nationalhelden, sondern teils bitter arm. Der Geschmack hatte sich sukzessive geändert. Aber das heißt ja nicht, dass sie schlechte Komponisten waren. Ein weiterer Punkt ist, dass es bei Händel schon zwei Gesamtausgaben gibt. Bei Hasse hingegen sind die Unterlagen für eine geplante Ausgabe einst verbrannt.

Wie kam es dazu, dass Sie nun Festspielleiter in Bayreuth sind?

Max Emanuel Cenčić: Die Festspiele Bayreuth Barock gab es früher schon einmal - allerdings mit K anstatt Qu. Als dann das Markgräfliche Opernhaus nach der langen Renovierung wieder eröffnet wurde, kam die Idee auf, das wiederzubeleben. Wir haben dann das Konzept entwickelt und der Stadt präsentiert, die das unterstützt. Wir konzentrieren uns auf die Opera seria, was perfekt zur Entstehungszeit des Opernhauses passt und es gleichsam als Museum mit der Musik der Zeit wieder zum Leben erweckt. Deshalb ist Bayreuth auch so wichtig, um den Horizont der Barockmusik zu erweitern.

Dennoch finden die Vorarbeiten nun aber nicht in Bayreuth, sondern Athen statt. Warum?

Max Emanuel Cenčić: Wir bereiten hier die ganze Oper vor, weil wir hier eine Werkstätte haben. Das Markgräfliche Opernhaus ist ja ein Museum, also zumindest kein vollfunktionales Opernhaus. Man muss dort mit eigenen Technikern anreisen. Da meine Firma Parnassus seit zehn Jahren unabhängige Produktionen auf die Beine stellt, haben wir alles, was für einen italienischen Opernzirkus vonnöten ist. Wir gehören damit zu den wenigen, die unter diesen Auflagen arbeiten können. Wir sind so verrückt, dass wir in Bayreuth in vier Tagen alles aufbauen können. Sie sehen: Corona ist nicht die einzige Hürde. (lacht)

Unesco-Welterbe: Das Markgräfliche Opernhaus, ein Theaterbau des 18. Jahrhunderts, nach der Restaurierung 2018 wiedereröffnet und nun Schauplatz von Bayreuth Baroque
Unesco-Welterbe: Das Markgräfliche Opernhaus, ein Theaterbau des 18. Jahrhunderts, nach der Restaurierung 2018 wiedereröffnet und nun Schauplatz von Bayreuth Baroque © imago/Westend61 (imago stock&people)

Stilistisch versuchen Sie sich dann auch einer Rekonstruktion der Aufführungen?

Max Emanuel Cenčić: Nein. Das ist eine andere Geschichte. Mir geht es darum, dass wir die Dinge wiederaufführen, aber in welcher Form - ob knallig modern oder eher klassisch - das muss man von Fall zu Fall entscheiden. Ich bin nun wirklich nicht derjenige, der im Kerzenschein Theater machen will!

Wie legen Sie demnach Ihre Inszenierung von "Carlo il Calvo" an?

Max Emanuel Cenčić: Das Ganze ist eine komplette Soapopera, die ich deshalb auch auf einer Finca des 19. Jahrhunderts ansiedele.

Das bedeutet aber auch, dass Sie nun nicht nur Sänger, Regisseur und Firmenchef sind, sondern auch noch Intendant. Haben Sie keine Angst vor dem Herzinfarkt?

Max Emanuel Cenčić: Ich sage immer: Meine besten Freunde in Wien sind die Ärzte. (lacht) Aber klar ist auch: Ich will nicht ewig singen und wie Marta Eggerth noch mit 90 auftreten! Ich möchte mein Leben genießen. Das Leben ist eine Entdeckungsreise. Und man kann nichts Neues entdecken, wenn man ständig dasselbe macht. Ich lasse meine Sängerkarriere deshalb langsam ausklingen. Ob das fixe Ende dann in ein, zwei oder zehn Jahren kommt, überlasse ich meinem Körper und meinem Willen. Aber die Freiheit zu entscheiden, nicht mehr zu wollen, ist ein enormer Luxus.

www.bayreuthbaroque.de