Musik ist ein unerklärbares Geschenk aus einer anderen Welt“, wusste Nikolaus Harnoncourt. Dieses Geschenk pflegte der Cellist und Dirigent zeitlebens wie nur wenige. Und verteidigte es gegen die Banalität, Nachlässigkeit, Verschüttung, Vereinnahmung ...
Andere vergleichbare Pultkollegen theoretisierten oft in dicken Wälzern, etwa der Brite John Eliot Gardiner (zuletzt über Bach). Harnoncourt begnügte sich mit knappen und dennoch gewichtigen Reden und Essays. Seine Frau Alice, ewig treue Begleiterin auch als Geigerin in seinem Concentus Musicus, hat als Nachlassbetreuerin des 2016 verstorbenen Musikers, Denkers und Forschers 15 davon zusammengetragen in der Hoffnung, „dass seine vertiefenden Überlegungen andere inspirieren und beflügeln“.
„Über Musik“ nennt sich ganz neutral der Band, in dem man erfährt, warum Harnoncourt Kunst im Allgemeinen und Musik im Speziellen für „die wichtigste Lebensquelle“ hielt. Das ist in Kapiteln über das Musikhören genauso zu spüren und zu verstehen wie über das Vibrato oder die Klangästhetik bei Claudio Monteverdi, einem seiner großen Lieblinge.
Der Untertitel des Buches, acht Monate nach "Meine Familie" erschienen, lautet nicht zufällig „Mozart und die Werkzeuge des Affen“. Freilich braucht man nicht erst den „rätselhaften Genius“, um zu zeigen, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Aber Harnoncourt unterstrich am Paradebeispiel Mozart, für ihn „vielleicht ein Griffel Gottes, der uns zwingt, in seelische Abgründe zu schauen und kurz darauf in den Himmel“, dass immer „die Denkweise des Herzens“ zählt. Diese sollte in seinen Augen mutig über das Rationale hinausgehen, denn „sogar die Wissenschaft wird erst interessant, wenn sie von der Phantasie gestört wird“.
Harnoncourt selbst war ein phantastischer Störer, der seinen Merksatz leidenschaftlich wie kein anderer vermitteln konnte: „Ohne Musik ist der Mensch kein Mensch.“
Michael Tschida