Ich fürchte, die Leute werden eher kommen, um die Gänse zu sehen, als meine Musik zu hören“, scherzte Engelbert Humperdinck bei den Proben zu seiner Oper „Königskinder“ an der New Yorker Met. Denn Geraldine Farrar, damals mit 26 Jahren schon ein Sopranstar ihrer Zeit, hatte sich für ihre Rolle als Gänsemagd echte statt mechanische Tiere neben sich gewünscht. Also besorgte ihr ein Assistent am Gansevoort Market in Chelsea zwölf weiße Gänse und zwei graue Ganter, die die Sängerin auf sich prägen konnte und die als Bühnenpartner schließlich fast so viel Jubel ernteten wie Farrar selbst.
Beflügelnd! Bei der Uraufführung im Dezember 1910 kam die Oper, in einer Erstfassung als Schauspielmusik am Münchner Hoftheater 1897 noch durchgefallen, auf 14 Vorhänge schon nach dem ersten Akt und – ungewöhnlich für New York – am Ende auf 15 Minuten dauernde Ovationen. Der Triumph sprach sich rasch herum, und so brachte es das Werk in seiner ersten Spielzeit auf nicht weniger als 30 ausverkaufte Vorstellungen.
Bald in Vergessenheit geraten
Das war es dann aber auch schon fast wieder für die „Königskinder“. Denn das Kunstmärchen, in dem sich eine durch ihre hexische Großmutter von der Welt abgeschirmte Gänsemagd und ein abgeschottet (v)erzogener Königssohn verlieben, als Paar aber von hartherzigen Bürgern verspottet und vertrieben werden, rutschte bald in die Vergessenheit. Das mochte unter anderem daran gelegen haben, dass die Geschichte von Ausgrenzung, Niedertracht, Egoismus und anderen dunklen Seiten des Menschen erzählt und zudem tragisch endet.
Eine kleine Renaissance
Erst in jüngerer Zeit gab es eine kleine Renaissance für das traurigste der 14 Bühnenwerke von Humperdinck, dem Komponisten des märchenhaften Dauerbrenners „Hänsel und Gretel“. So bemühten sich etwa Dirigent Fabio Luisi und Regisseur Andreas Homoki 2005 in München um den gesellschaftskritischen Dreiakter, der das Thema hohe und niedere Herkunft verhandelt. Und im Juli 2020 wird er bei den Festspielen in Erl gespielt, mit der jungen Litauerin Giedrė Šlekytė am Pult, in einer Inszenierung des Südafrikaners Matthew Wild.
In Österreich waren die „Königskinder“ nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt nicht mehr zu sehen, in Graz das letzte Mal 1939 mit der legendären Ljuba Welitsch. Am 14. Dezember feiert das Melodram mit Marius Burkert als Dirigent, Frank Hilbrich als Regisseur sowie Polina Pastirchak und Maximilian Schmitt als verstoßenem Paar also nach 80 Jahren wieder Premiere im Grazer Opernhaus. Dort hat man nun in zehn Vorstellungen bis zum 18. März die Gelegenheit, nicht nur „ein tieftrauriges Märchen von der Gänsemagd und dem Königssohn, die an der Kälte der Umwelt sterben“, zu erleben, wie Intendantin Nora Schmid im Vorfeld versprach, sondern eine absolute Musiktheater-Rarität voll tiefer Emotionen und opulent gesetzter Musik, die an Richard Wagner erinnert. Kein Wunder, war Engelbert Humperdinck doch fast zwei Jahre lang dessen Mitarbeiter in Bayreuth und sah in ihm einen „väterlichen Freund“.
Michael Tschida