Pianist Rudolf Buchbinder, der Sie nun zu seinem renommierten Festival in Grafenegg eingeladen hat, schätzt Sie nicht nur als Künstler, sondern auch als „besonders liebenswerten Menschen“. Wie hat sich dieser offenbar sehr herzliche Kontakt ergeben?
LONG YU: Er war bei uns in Peking eingeladen, und ich wusste natürlich, dass er eine „Legende“ ist. Schön, dass sich aus meinem tiefen Respekt für ihn auch eine Freundschaft ergeben hat. Wann immer wir einander begegnen, findet sich genug Zeit für Spaziergänge und interessante Diskussionen.
Buchbinder sagt über Sie auch, dass Sie exzellent Deutsch sprechen – wenn Sie wollen.
LONG YU: Schon zu viel vergessen. Bleiben wir lieber bei Englisch.
Sie haben Chinas erste Musikakademie gegründet und sind Chef von sieben wichtigen Institutionen des Landes – vier Orchester, zwei Festivals plus Musikakademie. Bitte, wann schlafen Sie?
LONG YU: Mir ist die Gnade gewährt, dass ich nur wenig Schlaf brauche. Dafür danke ich dem Himmel. Aber, um ehrlich zu sein, manchmal erschummle ich mir den Schlaf auch. Ich habe die Gabe, dass ich in Pausen überall sofort einnicken kann.
Und wann haben Sie Zeit, all die Partituren zu studieren?
Oft im Flugzeug.
Auf der Hülle Ihres ersten Albums bei der Deutschen Grammophon, „Gateways“, sind Sie aber mit Fahrrad abgebildet. Ihr Dienstfahrzeug?
Oft, ja (lacht), aber das geht sich natürlich nicht immer aus. Peking etwa oder Kanton wären dann doch zu weit ...
Was bedeutet Ihnen dieser neue Vertrag mit einer so renommierten Firma?
Er bedeutet a) Respekt vor unserem künstlerischen Standard, b) Anerkennung unserer mittlerweile sehr interessanten Musikszene und c) natürlich die Erkenntnis, dass die Firma die heutigen Dimensionen des chinesischen Marktes kaufmännisch sehr gut erkannt hat.
Auf „Gateways“ präsentieren Sie nebst Fritz Kreislers „Tambourin Chinois“ und Rachmaninovs „Symphonic Dances“ auch Qigang Chens „The Five Elements“ und „La joie de la souffrance“ mit dem Solisten Maxim Vengerov. Ein Beispiel für Brückenschlag zwischen Ost und West?
Solche Begriffe klingen mir zu abgedroschen. Musik hat für mich längst nichts mehr mit „East meets West“ zu tun, sondern mit der ganzen Welt. Musik ist die globalste Sprache und sie sprengt alle Grenzen.
Wie viele Orchester gibt es heute in China?
Es sind mittlerweile 64. Sogar in der Mongolei, in Städten, von denen Sie noch nie gehört haben. Viele können sich natürlich nicht mit den ganz großen Orchestern dieser Welt vergleichen, aber alle versuchen, professionell zu arbeiten. Über 90 Prozent der Jobs kriegen heute Mitglieder der von mir gegründeten Akademie. Eben haben wieder einige Absolventen ihre Abschlussdiplome bekommen.
Was geben Sie ihnen mit auf den Weg?
Ich wünsche ihnen viel Glück, sage ihnen aber gleich, dass sie noch lange keine Stars sind. Wir hätten ihnen professionell so viel wie möglich mitgegeben, doch die wirkliche Arbeit liege noch vor ihnen, und dies sei ihr künftiger Weg. Arbeit, harte Arbeit. „Erst, wenn die Musik Mittelpunkt eures Lebens wird, macht ihr alles richtig.“ „Business“ bedeutet nichts, die Liebe zur Musik ist alles. Denn unser Leben wird besser mit Kunst, mit Musik. Und am wichtigsten ist: Kreativität, Kreativität, Kreativität.
Sie sind erst 55 ...
Aber bei allem, was ich bereits hinter mir habe, müsste ich schon 88 sein. Trotzdem kann ich nicht in Pension gehen. Ich habe noch so viele Pläne.
Sie lieben Mahler und Schönberg, auch Stefan Zweig und Wiener Schnitzel, wie Sie sagen. Und ob Sie das Wiener Neujahrskonzert kennen ...
... brauchen Sie mich wirklich nicht zu fragen. Millionen Chinesen kennen es. Lieben es.
Würden die Wiener Philharmoniker Sie einladen, würden Sie dieses Konzert gerne einmal dirigieren?
Fragen Sie mich nicht Sachen, bei denen mein Herz einen Salto schlagen würde. Aber realistisch gesehen: Die haben so viele exzellente Dirigenten, warum sollten sie gerade einen Chinesen brauchen?
Ludwig Heinrich