Im November wurden Sie 90 Jahre, wie geht es Ihnen?
SHEILA JORDAN: 90 ist nur eine Zahl, ich lebe nicht in Alterszahlen, ich fühle mich gut. Ich bin noch rüstig genug, um auf Tour zu gehen oder zwei Wochen hierher nach Graz zu kommen. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben. Ich habe nur gelegentlich Herzrhythmusstörungen, aber dagegen nehme ich Medikamente.
Was führt Sie zurück an das Jazzinstitut nach Graz?
SHEILA JORDAN: Ich wurde eingeladen, Workshops zu machen und zwei Wochen mit den Studenten zu arbeiten. Ich war auf eine gewisse Art sogar geschockt über die Einladung (lacht). Ed Partyka war dafür verantwortlich. Ich war mit ihm und der Big Band auf Tour in der Schweiz, und er fragte mich, ob ich wieder komme wolle. Er ist eine wunderbare Person und ein großartiger Musiker.
Sie sind unglaublich viel unterwegs. Im April haben Sie Konzerte in New York, Washington, Stanford, Chicago and Spanien. Ist das nicht anstrengend?
SHEILA JORDAN: Das ist meine Berufung. Ich bin eine Botschafterin dieser Musik, die ich am Leben halten möchte. Und ich will junge Leute in diese Musik einführen. Was manchmal ein bisschen anstrengend sein kann, ist das viele Reisen, aber nicht so, dass ich aufgeben würde. Das ist Teil des Berufs. Ich bin eine Botschafterin dieser Musik, keine Diva und kein Jazzstar!
Leben Sie gesund?
SHEILA JORDAN: Hmmm, ich trinke nicht, ich rauche nicht, der Appetit verliert sich allerdings ein wenig. Aber ich habe großen Appetit auf Süßigkeiten. Es ist, als würde ich wieder ein kleines Kind sein. So nehme ich manchmal eine kleine Mahlzeit, nur um danach etwas Süßes essen zu dürfen. Ich achte nicht so sehr darauf, was ich essen sollte oder nicht. Nicht mit 90.
Reisen sie alleine?
SHEILA JORDAN: Ja, ich reise immer alleine. Es sei denn, ich muss einen bestimmten Musiker mitbringen. Manchmal rufen mich auch bestimmte Musiker aus gewissen Ländern an und fragen, ob ich mit ihnen auf Tournee gehen möchte. Und dann komme ich halt.
Neulich haben wir uns wieder Ihre CD „Live at The Triad“ (2004) mit Cameron Brown angehört, eine Aufnahme, die Sie an Ihrem 76 Geburtstag gemacht haben. Ihre Stimme klingt darauf charmant mädchenhaft. Müssen Sie heute stimmlich schon Kompromisse machen?
SHEILA JORDAN: Nein, ich achte zwar auf gewisse Dinge, aber ich könnte nicht damit leben. Die Musik hält mich jung. Ich hoffe, dass es so in Ordnung ist.
Ihre Karriere ist geprägt von der engen Zusammenarbeit mit Kontrabassisten, und Sie sind nach wie vor auf Tourneen mit Cameron Brown. Was bevorzugen Sie so an der Duo-Arbeit mit Bassisten?
SHEILA JORDAN: Ich mag diese Freiheit und den Raum, so kann ich beim Singen immer kreativ bleiben. Und ich lerne den Song besser kennen. Ich lernte von Charlie Parker, wie man einen Song exakt verinnerlichen muss. Ich habe diese Kombination von Bass und Stimme im Original sehr früh mit Steve Swallow begonnen, als er noch den akustischen Bass spielte. Er war auch auf meiner ersten eigenen Platte dabei. Schon als ich vor ca. 65 Jahren bei Lennie Tristano studierte, versuchte ich diese Kombination. Später kam dann die Zusammenarbeit mit Harvie Swartz und schließlich mit Cameron Brown.
Sie haben grundsätzlich eine Vorliebe für kleine Gruppen?
SHEILA JORDAN: Ja, weil ich eine kleine, sehr delikate Stimme habe. Ich habe keine große, starke Stimme. Und in kleinen Gruppen muss ich mich nicht damit beschäftigen. Ich liebe den Bass-Sound und höre dabei alle Akkorde klar. Und dann singe einfach. Vielleicht war ich in einem früheren Leben eine Bassistin?
Mit „Portrait of Sheila“ haben Sie 1962 als erste Frau für das legendäre Jazzlabel Blue Note aufgenommen. Warum blieb´s bei dieser einzige Blue Note-Platte?
SHEILA JORDAN: George Russel hat mich vermittelt, er ist der Mann, der meine Karriere angekurbelt hat. Blue Note hat sonst keine Sängerinnen aufgenommen. Außerdem bin ich keine Pusherin, rufe an und brülle, dass sie eine weitere Platte mit mir machen sollen. Ich hatte nicht die Courage oder was auch immer.
Welche Ihrer weit über 50 Platten haben Sie denn am liebsten?
SHEILA JORDAN: Ich höre mir meine Platten niemals an. Ich höre mich überhaupt nicht an, ich bin zu kritisch. Ich stelle die Songs nach den Aufnahmen zusammen und höre mir die fertige Produktion an, und das war´s.
Ihre letzte eigene Platte „Winter Sunshine“ (Justin Time Records) ist elf Jahre alt. Wann ist es wieder soweit?
SHEILA JORDAN: Ich weiß, ich weiß, ich finde einfach keine Zeit. Aber ich möchte noch eine Platte aufnehmen, bevor ich sterbe. Ich möchte eine Duo-Aufnahme mit Steve Kuhn machen, worüber wir schon einige Jahre reden.
Am Montag hatten Sie ein Konzert im Mumuth mit Saxophon, Klavier, Schlagzeug und Streichquartett, bis Freitag unterrichten Sie noch in Graz. Wie sind Ihre Studenten hier?
SHEILA JORDAN: Schon bei den ersten drei Lessons waren die Sängerinnen wirklich sehr gut, sie hatten es echt drauf. Sie fühlen es, sie phrasieren richtig gut, sie swingen, sie kennen die Tunes bestens, sie sind mit Herz und Seele bei der Sache. Sie müssen nur noch ein bisschen an ihrer Aussprache arbeiten. Ich war völlig beeindruckt. Das ist nur möglich mit der kontinuierlichen Arbeit an der Fakultät hier und Dena DeRose, die als Sängerin und Pianistin eine wunderbare Künstlerin für sich selbst ist.
Otmar Klammer