Manchmal genügt anstelle der Rezension ein Wort: hingehen! Wann kann man diese große Oper schon auf der Bühne sehen? Vor allem aber, wann sieht und hört man sie so überzeugend? Schließlich kann so ein heroisches Drama auch grässlich scheitern: Entweder durch dümmliche Aktualisierung oder erstarrt in hohlem Pathos, das auch die Musik mit sich in den Abgrund des Plakativen reißt. All das geschah nicht im Theater an der Wien und das ist zwei Frauen zu danken: Lotte de Beer, der Regisseurin, und Oksana Lyniv am Pult der Wiener Symphoniker.

De Beers Deutungsarbeit beginnt schon im Vorspiel. Johanna, ein pubertierender Teenager, lehnt sich gegen den Vater und dessen junge (Zweit-)Frau auf. Es geht um Ablösung, um väterliche Gewalt im doppelten Wortsinn. Am Ende wird es ja ihr leiblicher Vater sein, der die Retterin Frankreichs mit dem Vorwurf der Hexerei der Inquisition ausliefert.

Die Regisseurin greift zum Kunstgriff der Spaltung der Hauptperson. Eine junge Frau von heute wird von der Geschichte der Jungfrau von Orleans in den Bann gezogen bis zur totalen Identifikation und deren Überwindung im dramatischen Finale. Ritter trampeln über den Küchentisch im heimischen Domremy und zerren die junge Frau selbst ins Spiel. Mittelalterliche Kostüme kontrastieren mit dem rosa Kinderzimmer, das Madonna-Plakate und Bildernder russischen Punkband Pussy-Riot schmücken. Statt der Engel singen Suffragetten, Marlene Dietrich, Elizabeth I. und andere weibliche Rollenvorbilder, die zur Identifikation einladen. Dass all das nie peinlich wird, beweist De Beers feine Kunst der Personenführung.

Grazer Opern-Chefin brilliert in Wien

Dem Psychodrama, in Tschaikowskis Musik von Kriegslärm und mächtigen Chortableaus überlagert, verhilft auch Oksana Lyniv, der Noch-Chefdirigentin der Grazer Oper, zu neuem Leben. Der großen Oper nach französischem Vorbild liegt ja ein feines Gefühlsgewebe zugrunde, das oft an den kurz zuvor entstandenen „Eugen Onegin“ erinnert. Lyniv arbeitet straff und frei von Sentimentalität die lyrischen Qualitäten der Partitur heraus, ohne das Monumentalgemälde zu vernachlässigen - packend vom ersten Ton bis zum Letzten, auch dank der Klangpracht der Wiener Symphoniker und des Schönberg-Chors.