Sie starten in Ihre zehnte Spielzeit als künstlerischer Leiter des Musikvereins: Wie geht's dem ... ? - Jubilar darf man jetzt nicht sagen, dafür ist Ihr Haar ja noch viel zu wenig grau.
MICHAEL NEMETH: (lacht) Nun, ich bin sehr glücklich, dass ich das schon so lang sein darf. Und man hört nie auf, eine so schöne Aufgabe, in der Beruf und Berufung zusammenfallen, mit Begeisterung zu machen.
Gab es in dieser Zeit nie Versuche, Sie abzuwerben?
Doch, ich hatte drei seriöse Angebote. Aber es fällt mir leicht, dem Musikverein treu zu sein und es auch zu bleiben, denn hier in Graz gibt es ideale Konstellationen für mich und mein kleines Team, mit dem ich großen Output schaffe und viel bewirken kann - unterstützt auch von einem großartigen, uns auf Augenhöhe begegnenden Vorstand um Franz Harnoncourt und Alfred Stingl.
Was haben Sie schon erreicht?
Wenn ich meine bisherigen zehn Jahre reflektiere, dann haben wir es zum Beispiel geschafft, den Musikverein noch mehr ins Gespräch zu bringen, Graz noch weiter für die internationale Musikwelt zu öffnen, noch mehr Debüts herausragender Künstler zu bieten. Und ich denke, dass sich die Dynamik meines Teams auch auf das Publikum übertragen hat und es einen ungezwungeneren Zugang zu den Konzerten gibt, die Leuten von 0 bis 100 Freude machen sollen. Diese Öffnung ergibt sich ja schon aus unserer Gründungsidee, mit der ab 1815 erstmals Bürgerliche das Musikhören und Musikmachen förderten. Zugang zur Kultur ist für mich ein Menschenrecht.
Womit wir gleich beim Eröffnungsabend am Montag sind.
Ja, beim ersten Menschenrechtskonzert der Saison stellt Opern-Chefdirigentin Oksana Lyniv das von ihr gegründete Youth Symphony Orchestra of Ukraine vor. Das zweite gestaltet Daniel Barenboim mit einem Beethoven-Klavierrecital.
Das Thema Jugend ist Ihnen auch sehr wichtig, wie Sie immer wieder betonen.
Natürlich, das gehört zu einem modernen Kulturmanagement unbedingt dazu. Einerseits wollen wir junges Publikum gewinnen, etwa mit unserer Kinderreihe „Amabile“, Aktionen für Studenten oder dem „Probe:Hören“. Andererseits kooperieren wir stark mit jungen Talenten aus unserer „Verwandtschaft“, dem Fux-Konservatorium und der Kunstuniversität, oder mit der Prokopp-Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, die am 19. September Mozarts „La clemenza di Tito“ bringt.
Welche Überlegungen stehen für Sie bei der Programmerstellung im Vordergrund?
Dass wir höchste Qualität und sowohl Tiefe als auch Breite bieten. Dass wir eine gute Balance aus Tradition und Innovation finden, Brücken bauen, an den richtigen Stellschrauben drehen und das Publikum auch überraschen. Durch unser gewachsenes Mitgliedersystem herrscht ja ein großes musikalisches Wissen, sodass man die Zuhörer leicht in völlig verschiedene Welten nicht nur des Repertoires, sondern auch der Interpretation führen kann. Siehe etwa Daniil Trifonov, Arcadi Volodos und Rudolf Buchbinder, die in dieser Saison bei uns spielen: drei Pianisten mit ganz unterschiedlichen Zugängen. In der Solistenreihe kommt aber auch das Duo Bartolomey/Bittmann mit seiner progressiven Musik zum Zug. Solche Herausforderungen sind wichtig, denn nur mit Mainstream, Hypes oder gar Eventisierung würden wir nicht weit kommen.
Wie lang ist denn Ihre Liste der unerfüllten Wünsche?
Lang, aber mit dem Liederabend von Juan Diego Flórez kommt im Jänner immerhin einer meiner Wunschkandidaten. Ein ganz spezieller wäre übrigens Mariss Jansons, den ich als Mensch und Künstler ungemein schätze - wie er völlig uneitel und tiefgängig ganz für die Musik lebt, ist vorbildlich.
Michael Tschida