In eine Wolke gehüllt, schwebt die enge, armselige Mansardenwohnung des Poeten Rodolfo weit über dem Erdboden. Völlig entrückt von jeglicher Realität scheinen er und seine geliebte Mimi im Liebeshimmel zu sein: So beginnt in Erl Puccinis Meisterwerk „La Bohème“. Diese abgehobene Wolke (Bühne: Peter Hans Felzmann) wird von Gustav Kuhn ins Zentrum seiner Inszenierung gestellt.
Allein der Alltag holt die beiden ein, die Wolke beginnt zu sinken und erreicht im letzten Bild die Niederungen des Alltags, wo das Schicksal zuschlägt und die kranke Mimi tragisch stirbt. Kuhns konventionelle Personenführung bleibt immer nah am Libretto und ist trotz der Beengtheit der Mansarde sehr vital und zum Finale sehr ergreifend. Lediglich im Bild rund um das Café Momus ist ihm außer einem durchchoreographierten Chor wenig eingefallen, hier wäre mehr Lebendigkeit wünschenswert gewesen. Die Tiroler Winterlandschaft des dritten Bildes erhielt spontanen Szenenapplaus.
Viele Gefühle vermag der Dirigent Gustav Kuhn auch im groß dimensionierten Orchester der Tiroler Festspiele Erl zu wecken. Puccinis eingängige, herrliche Melodien erklingen mit vielen Abstufungen, wobei allzu viel Pathos vermieden wird.
Bei den von Kuhn wieder gut ausgesuchten Sängern sticht der 28-jährige Italiener Matteo Desole als Rodolfo mit herrlich schmelzigem Tenor hervor, ein Name, den man sich merken sollte. Seine geliebte Mimi ist die innig und nuancenreich, aber mit etwas zu viel Vibrato singende Lada Kyssy. Bianca Tognocchi als sehr kokette Musetta ist optisch eine Augenweide und streicht viele Fassetten der Figur heraus. Nicola Ziccardi ist mit seinem kernigen Bariton eine Idealbesetzung für den Marcello, Daniele Antonangeli ein dezenter, wenig präsenter Colline, James Roser ein blasser Schaunard. Sehr gut hört man den Chor. Stehende Ovationen!
Helmut Christian