Eigentlich geht es für die Musikstadt Hamburg seit der Eröffnung der Elbphilharmonie nur in eine Richtung: steil nach oben. Doch die Erfolgsgeschichte hat einen Kratzer bekommen. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Thomas Hengelbrock, Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, der das viel beachtete Eröffnungskonzert im Jänner leitete, das Residenzorchester zum Sommer 2019 verlässt.
Nach acht "sehr erfolgreichen Jahren" wolle er "sich intensiver anderen künstlerischen Herausforderungen" widmen, hieß es. Gerüchte über einen möglichen Weggang kursierten bereits seit einigen Wochen, seit es bei der Vorstellung des neuen Programms keine eindeutige Stellungnahme zu einer Vertragsverlängerung gab.
Will sich Hengelbrock, der als charismatischer Freigeist gilt, tatsächlich neuen Aufgaben widmen? Oder stecken doch andere Gründe hinter seinem Weggang? Angeblich soll das einstige Bilderbuch-Verhältnis zwischen Dirigent und Orchester nach sechs Jahren in letzter Zeit nicht mehr so gut gewesen sein. Und dann gab es immer wieder Vergleiche mit all den Spitzenorchestern, die in der Elbphilharmonie aufgetreten sind - wie die Wiener und die Berliner Philharmoniker oder das Chicago Symphony Orchestra -, die auch ohne Proben mit den akustischen Herausforderungen des Saals besser zurechtkamen als das Hausorchester.
Mit dem neuen Chefdirigenten Alan Gilbert hofft der NDR nun, dass nicht nur der Saal, sondern auch das Orchester in der ersten Liga spielen wird. "Die Elbphilharmonie ist nicht die Laeiszhalle", sagte Joachim Knuth, NDR-Programmdirektor Hörfunk, am Freitag mit Blick auf Hamburgs zweites Konzerthaus. "Wir wollen uns mit internationalen Orchestern messen." Eine lange Zeit des Kennenlernens brauchen Musiker und neuer Chef nicht, schließlich kennen sie sich schon lange - von 2004 bis 2015 war der Amerikaner, der gerade sein Abschiedskonzert als Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker gegeben hat, bereits Erster Gastdirigent des Orchesters.
Als Gilbert 2009 die Nachfolge von Lorin Maazel antrat, war er der erste gebürtige New Yorker auf diesem Posten und seit Leonard Bernstein der erste Amerikaner in diesem Spitzenjob der Musikwelt. Über acht Jahre hat der 50-Jährige, der mit der schwedischen Cellistin Kajsa William-Olsson verheiratet ist, seine Spuren hinterlassen, von Umbruch und Revolution war in den New Yorker Zeitungen zu lesen. Aber der 50-Jährige stieß auch mit manchen Vorhaben bei der 175 Jahre alten Institution an Grenzen. "Ich dirigiere sehr viel in Deutschland und ich liebe die musikalische Atmosphäre dort", sagte er vor kurzem in einem dpa-Interview.
Zum Abschied von New York hat sich der Mahler-Experte Gustav Mahlers 7. Sinfonie ausgesucht - bei seiner Rückkehr zum NDR Elbphilharmonie Orchester steht im April 2018 die 3. Sinfonie auf dem Programm. Seit ihn seine Eltern - beide waren Geiger bei den New Yorker Philharmonikern - im Alter von neun Jahren in Konzerte mit allen Mahler-Sinfonien schleppten, hat ihn dessen musikalische Welt nicht mehr losgelassen. Von seinem neuen Arbeitsplatz zeigte sich Gilbert am Freitag begeistert. Die Elbphilharmonie sei ein perfekter Ort, um Musik zu spielen und aufzuführen, sagte er. "Ich bin wirklich begeistert, diesen Platz gefunden zu haben."
Die Erfolgsgeschichte soll also weitergehen. Die Nachfrage nach Konzert-Tickets für die Elbphilharmonie ist ohnehin so groß, dass die Server regelmäßig zusammenbrechen, sobald neue Karten auf den Markt kommen - auch die nächste Saison 2017/18 ist schon so gut wie ausverkauft. Und als weiterer Höhepunkt lauschen am 7. Juli beim G20-Gipfel die wichtigsten Staats- und Regierungschef Beethovens 9. Sinfonie in Hamburgs neuem Musentempel.
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Carola Große-Wilde/dpa