Es war einmal ein Schloss. In einer kühlen Sommernacht trafen dort fabelhafte Musiker, eine wunderschöne Sängerin, viele Kameras, einige Prominente und etwa 90.000 Zuschauer zusammen und erlebten eine musikalische Märchenstunde im Großformat. Mythen, Märchen und Massen lieferte das traditionelle Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker im Schlosspark Schönbrunn heute, Donnerstag, Abend.
Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit war das Sommernachtskonzert in seinem ersten Jahrzehnt so etwas wie der Garant für einen regnerischen Frühsommerabend. Doch nun zeigte sich die Wetterfee dem Open-Air-Event, das alle Jahre wieder bei freiem Eintritt vor die Kulisse von Österreichs bekanntestem Schloss - und vor die Fernsehschirme in 80 Ländern - lädt, schon zum zweiten Mal in Folge gewogen. Vielleicht hat man sie durch das Programm besänftigt, das zwischen Strawinskys "Feuervogel", Tschaikowskys "Dornröschen", Humperdincks "Hänsel und Gretel" und Williams' "Harry Potter" ganz im Land der Fabelwesen angesiedelt war.
Bühne gedreht
Die Bühne wurde heuer erstmals umgedreht und direkt vor dem Schloss errichtet - der Gloriette zugewandt, wo zusätzlich zu den 54.300 maximal im Schlosspark zugelassenen Besuchern etwa noch einmal 30.000 bis 40.000 weitere dem Konzert beiwohnten, heuer erstmals mit Blick auf die Bühne, statt auf ihre Hinterseite. Begründet wurde der Schritt mit dem Wunsch "das zauberhafte Schloss ins Zentrum zu rücken", so Philharmoniker-Vorstand Andreas Großbauer in seinen Begrüßungsworten, sowie mit der akustischen Verbesserung.
Denn der akustische Balanceakt der Instrumentengruppen, Lautsprecherpositionen und Verstärkungsamplituden erfordert den Tontechnikern bei diesem gewaltigen Beschallungsmanöver wohl zumindest ebensolche Kunstfertigkeit ab, wie die Balance des musikalischen Zauberhandwerks durch Dirigent Christoph Eschenbach. Der verpasste dem stark theatralen Programm - beherrscht von Handlungsmusik aus Oper, Ballett und Film - durchaus Ecken und Kanten, mit stets straff gezügelter Dynamik und zurückhaltend dosierter Lieblichkeit.
Denn trotz des populären Mottos und einer Verbeugung vor dem modernen Märchen aus der Traumfabrik Hollywood, hat diese Sommernacht im besten Sinn kein Wunschkonzert geboten. US-Sopranistin Renee Fleming sorgte zwar mit den bekannten Dvorak-Arien der Armide und der Rusalka - die Seenixe zitierte sie auch mit ihrem schillernden ersten Outfit - für ebenso zarte wie fulminante Begegnungen mit dem großen romantischen Opernrepertoire, setzte aber mit der Orchester-Bearbeitung dreier Lieder von Rachmaninow auch auf seltenere Edelsteine des klassischen Liederbogens.
Enden ließ man den - inzwischen ziemlich kalten - Abend zunächst auf einer heißen Note, mit Strawinskys "Feuervogel"-Finale. Und erwärmte dann zumindest das goldene Wienerherz und das der internationalen Fernsehzuschauer mit Strauß' idealtypisch musiziertem Postkarten-Walzer "Wiener Blut". Das Park-Parkett gehörte standesgemäß den spontanen Walzer-Tänzern.
Dass diese "starke Botschaft aus Wien in die Welt hinaus" nicht zuletzt als "Friedensprojekt" verstanden werde, wünschte sich der Philharmoniker-Vorstand im Namen des Orchesters. Gleichzeitig betonte er, dass die Realisierung von Jahr zu Jahr schwieriger werde und appellierte an die zahlreich anwesende Politprominenz, über die Zukunft des Sommernachtskonzerts gemeinsam "nachzudenken". Nachhören kann man das Konzert übrigens schon ab 9. Juni - da ist das Open-Air-Event bereits im CD-Format erhältlich.
Maria Scholl/APA