Das Werk - hier als "Musiktheater", nicht als "Oper" bezeichnet - hinterlässt besonders durch die sängerischen Leistungen der Solisten und des Chores und durch die Inszenierung von John Dew sowie die Bühnengestaltung durch Dirk Hofacker, der auch die Kostüme entwarf, nachhaltigen Eindruck.
"Die andere Seite" geht zurück auf den gleichnamigen Roman des bedeutenden Zeichners Alfred Kubin, aus dem der Linzer Intendant Hermann Schneider den Text der "Oper" zusammengestellt hat. Während aber Kubin seine "phantastische" Erzählung auf der "anderen Seite" der Welt ansiedelt und sie in einem apokalyptischen Finale enden lässt, spielt die Bearbeitung durch Schneider und Obst in der geschlossenen Abteilung einer Nervenheilanstalt. Eine beklemmende "andere Seite" menschlichen Lebens.
Die Protagonisten sind jedoch gleich: der "Zeichner" - unverkennbar Alfred Kubin selbst in seiner psychischen Verfassung bei der Niederschrift des Romans -, Patera, der Herrscher des "Traumreiches", und die weiteren Personen des imaginären Landes. Martin Achrainer setzt als "Zeichner" seiner vielseitigen sängerischen Karriere ein weiteres Glanzlicht auf. Aber auch darstellerisch beherrscht er die Szene. Seine tonlose Gestaltung der ersten Szene ist geradezu Burgtheater-reif.
Einziger Gast im Linzer Ensemble ist der Countertenor Denis Lakey. Er hat die Partie des Herrschers Patera bereits bei der Uraufführung der "Oper" 2010 in Würzburg gesungen. Nach dieser Bravourleistung möchte man den Sänger gerne auch in einer klassischen Partie erleben. Auch die übrigen Solisten - darunter Gotho Griesmeier und Martha Hirschmann als einzige Damen - bewältigen ihre schwierigen Aufgaben bemerkenswert.
Der Chor wird bei derartigen Aufführungen meist nur mit einem Nebensatz erwähnt. Hier aber muss die Leistung der Damen und Herren und ihres Leiters Georg Leopold ausdrücklich vor den Vorhang geholt werden. Sensationell bewältigt der Chor des Landestheaters Linz (so die korrekte Bezeichnung) seinen immens schwierigen Part. Sowohl als "Bevölkerung" des Traumreiches, nach einer armenischen Melodie, als auch beim unter die Haut gehenden A-cappella-Schlusschor der Aufführung - in beiden Fällen aber als Pfleglinge der Nervenklinik.
Michael Obst stellt an alle Ausführenden hohe Ansprüche. Im Orchester dominieren weithin Bläser und üppiges Schlagwerk, ergänzt durch elektronische Zuspielungen. Die Gesangssolisten haben zwischen Sprechgesang und akrobatischen Spitzentönen zu agieren. Das Bruckner Orchester Linz zeigte sich auch in ungewohnten Klangflächen versiert, souverän im Griff gehalten durch Dennis Russell Davies. Der Schlussapplaus für ihn brachte schon den allgemeinen Dank an ihn für seine Leistungen als Linzer Opern- und Orchesterchef zum Ausdruck. Die szenische und optische Deutung des beklemmenden Werks machen die Fortsetzung solcher Arbeiten wünschenswert. "Die andere Seite" ist keine leichte Kost, verdient aber eine Empfehlung für neugierige Musikliebhaber über Oberösterreich hinaus.