Joshua Bell steht in niemandes Schatten“, schrieb die New York Times einmal. Was fast eine Untertreibung ist. Denn der 49-Jährige mit dem Bubengesicht ist seit seinem gefeierten Carnegie-Hall-Debüt 1985 ein Leuchtstern am Himmel, der voller Geigen hängt. Auf seiner Stradivari „Gibson ex Huberman“, die nach einem Diebstahl ein halbes Jahrhundert lang verschwunden war, ehe er sie anno 2001 um vier Millionen Euro kaufte, konzertiert Bell mit den Besten der Besten.
Im April war der New Yorker Ausnahmemusiker mit der Academy of St Martin in the Fields, deren Musikdirektor er ist, auf Australien-Tournee. Und nun begeistert er mit Daniel Harding und dem Swedish Radio Symphony Orchestra quer durch Europa. Der britische Dirigent und der Geiger sind nun erstmals im Grazer Musikverein zu bewundern, wenn sie zwischen Dvo(r)áks „Otello-Ouvertüre“ und Strawinskys „Feuervogel“ gemeinsam Bravourstücke servieren: Maurice Ravels sinnliches „Tzigane“ und Ernest Chaussons „Poème“, inspiriert von Iwan Turgenjews Kurzgeschichte „Das Lied der triumphierenden Liebe“, sind zwei 8000er der Geigenliteratur.
Gerade recht für Gipfelstürmer Bell, der aber nicht nur für seine hohe Virtuosität bekannt ist, sondern auch für ein Experiment, dessen Dokumentation durch die „Washington Post“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde: In einer U-Bahn-Station in Washington spielte 2007 ein Mann in Jeans und mit Baseballmütze auf seiner Violine eine Dreiviertelstunde lang Bach, Schubert und andere Klassiker. Niemand applaudierte. Nur sieben Menschen blieben stehen und hörten kurz zu. 20 gaben ihm Geld, gingen jedoch in ihrem normalen Tempo weiter. Die Gesamteinnahmen: 32,17 Dollar... Es war Joshua Bell, der zwei Tage zuvor in Frack vor ausverkauftem Haus in Boston für das gleiche Repertoire umjubelt worden war. Durchschnittspreis für eine Karte: 100 Dollar.
Michael Tschida