Kräne, Kreuzfahrtdampfer, Titanic-Museum und Graffitis: Die eröffnende Kamerafahrt über die nordirische Hauptstadt wirkt wie ein Werbespot. Doch bald wechselt „Belfast“ in körnige Schwarz-Weiß-Dramatik.
Im Fokus des für sieben Oscars nominierten Films: Buddy, ein Neunjähriger, der in der Arbeitersiedlung auf der Straße spielt. In der einen Hand hält er ein Schwert, in der anderen dient ihm ein Mistkübeldeckel als Ritterschild. Alle sind fröhlich, lachen, singen. Bullerbü-Stimmung in Belfast.


Doch am Himmel ziehen düstere Wolken auf: Der Brite Kenneth Branagh erinnert sich in diesem persönlichen Film an sein Aufwachsen in den 1960ern in Nordirland. Die Idylle wird im August 1969 jäh gestört, als sich die Spannungen zwischen protestantischen Loyalisten und katholischen Republikanern entladen – vor den Augen seines Alter Egos Buddy. Die „Troubles“ im Nordirlandkonflikt sollten Jahrzehnte dauern.
Kenneth Branagh, der als Regisseur und Detektiv aktuell auch mit „Tod auf dem Nil“ im Kino vertreten ist, erzählt eine berührend-schmalzige Familienstory durch die Augen von Buddy. Ordentlich durchgeschüttelt mit dem verklärten Bild, das Hollywood von der kindlichen Vorstellungskraft pflegt und einer auf der großen Leinwand bezaubernden Fantasiegewalt. Für Buddy ist die Welt der Fiktion und des Kinos eine magische, Szenen aus „Chitty Chitty Bang Bang“ zoomen ihn dorthin, wo noch alles in Ordnung ist.

Wohltemperierte Kriegsgeschichte

Der 61-jährige Shakespeare-Star skizziert vor der Kulisse des Bürgerkriegs und der Verrohung des Alltags ein versöhnliches, nahezu fröhliches Sittenbild von Zusammenhalt, der Kraft der Familie und Konflikten im Kinderleben (Schoko-Diebstahl im Laden). Die Songs des ebenso berühmten Belfasters Van Morrison drücken mitunter zu deftig auf die Tränendrüse. Aber: Wohltemperierte Melodramen wie dieses, das hat die Oscar-Historie gelehrt, stehen oft hoch im Kurs der Academy. Die Komplexität des Konflikts bleibt auf der Strecke.


Was „Belfast“ auszeichnet, sind die fantastische Ensembleleistung und die persönliche Haltung. Man sieht Buddy (große Talentprobe: Jude Hill) gerne bei der Entdeckung der Welt zu, Caitriona Balfe verkörpert dessen überforderte und besorgte Mutter, Jamie Dornan den Vater, der nie da ist, weil er in England hackelt. Und Judi Dench und Ciarán Hinds steuern als Großeltern die Extraportion Herzenswärme und Humor bei. Leichtfüßige 97 Minuten – Untertitel von Vorteil.