Ruth hat einen Polizisten getötet. In den USA ist das eines der schlimmsten Verbrechen überhaupt. Das wusste schon Hollywoods Selbstzensur in Form des Hays Code, der bis in die 60er-Jahre verbot, einen Polizistenmord überhaupt zu zeigen. Solchen Restriktionen musste sich die deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt glücklicherweise nicht mehr unterwerfen. Den internationalen Auftakt mit „The Unforgivable” im Auftrag von Netflix verdankt sie ihrem Debütfilm „Systemsprenger“, der auch international für Furore sorgte. Nun setzt sie bravourös Oscar-Preisträgerin Sandra Bullock in Szene.

Ruth Slater kommt nach 20 Jahren Gefängnis auf Bewährung frei. Sichtlich gezeichnet lebt sie in der Vergangenheit. Immer wieder durchbrechen Flashbacks ihre Gegenwart, die nach und nach die Ereignisse jenes tödlichen Tages auch für uns Zuschauer zutage fördern. Bei einer Zwangsräumung kam der Sheriff zu Tode, Ruth flüchtete mit ihrer fünfjährigen Schwester. 20 Jahre später ist sie vom Wunsch getrieben, sie wiederzusehen. Die gelbe Tasche, die sie mit sich herumträgt, steckt voller traumatischer Erinnerungen und Bedauern. Zwischen Jobs, Treffen mit ihrem Bewährungshelfer und Annäherungen an einen Arbeitskollegen versucht sie mithilfe eines Anwalts, mit ihrer Schwester in Kontakt zu kommen. Währenddessen wollen auch die beiden Söhne des Sheriffs die Vergangenheit nicht ruhen lassen.

Vorlage war eine britische Fernsehserie. Fingscheidt komponiert ihr Hollywood-Debüt ohne künstliche Spannung, aber mit inhaltlicher Intensität, nur manchmal gestört von Hans Zimmers dick aufgetragener Musik. Dazwischen lässt sie Sandra Bullock viel Platz für eine klassische Oscarrolle. Bullock verkörpert die getriebene große Schwester überzeugend, umgeben von einem großartig besetzten Ensemble. Jede Figur beeinflusst das Leben der anderen, jede Handlung hat Konsequenzen für andere. Das ist die Botschaft der Geschichte. Und auch das Ende kommt überraschender als erwartet.