Bewertung: ***
Anthony ist ein rüstiger alter Mann. Er lebt alleine in einem großen Londoner Apartment, angefüllt mit den Souvenirs eines langen Lebens. Seine Tochter Anne besucht ihn, bringt ihm Einkäufe und kümmert sich um den stolzen alten Vater. Doch dann eröffnet sie ihm, dass sich eine professionelle Betreuerin um ihn kümmern soll. Die hat Anthony aber schon in der Vergangenheit nicht akzeptiert.
„The Father“ macht recht schnell klar, dass im Kopf der äußerlich gesunden Titelfigur nicht alles in Ordnung ist. Anthony leidet an Demenz, vergisst und verwechselt. Diese Schwäche will er sich aber nicht eingestehen und reagiert störrisch und stolz auf die Bevormundungen. Autor und Debüt-Filmregisseur Florian Zeller erzählt „The Father“ großteils aus der Perspektive des Vaters. Doch komplett auf dessen Seite will er das Kinopublikum dann doch nicht ziehen.
Zeller adaptierte den Film zusammen mit Christopher Hampton nach seinem eigenen gefeierten Theaterstück „Le Père“, das 2012 in Paris, 2014 in London und 2016 am Broadway Premiere feierte. Außerhalb der deutschsprachigen Regietheater-Blase wurde es u.a. von der "Times" und dem "Guardian" als eines der wichtigsten Stücke der Dekade gefeiert und in 45 Ländern aufgeführt. In die Filmsprache übersetzt, funktioniert das Kammerspiel erstaunlich gut, auch wenn die theaterhafte Reduktion auf wenige Figuren und einen einzigen Ort nicht künstlich erweitert wurde. Denn der Film vollzieht die Erscheinungen der Demenz-Krankheit auf durchaus spannende Weise nach. Szenen gehen nahtlos ineinander über.
Die vermeintliche Tochter wird kurz von einer anderen Schauspielerin gespielt, ebenso wie der Schwiegersohn - bzw. die Schwiegersöhne. Und die verwinkelte Wohnung, in der der gesamte Film spielt, verändert leicht ihr Aussehen. Es ist die filmische Trickkiste, die sonst nur im Horrorfilm und Psychothriller Verwendung findet. Doch Florian Zeller deutet die subjektive Bedrohlichkeit und zeitliche Verwirrung meist nur sanft an. Recht schnell ist klar, wer recht hat. Das nimmt zwar Spannung aus der Geschichte, richtet den mitleidsvollen Blick aber ganz auf Anthony und seine Tochter.
Die beiden werden grandios gespielt von Sir Anthony Hopkins und einer ebenso grandiosen Olivia Colman. Dem 83-jährigen Hopkins brachte der Film bei der diesjährigen Oscar-Verleihung den zweiten Oscar als bester Hauptdarsteller ein. Colman hatte bereits im Jahr zuvor für „The Favourite“ gewonnen.
Auch wenn einem „The Father“ durch die raffinierte Erzählweise als Alters-Drama nicht extrem an die emotionalen Nieren geht, steckt darin doch eine ebenso universelle wie selten im Kino gezeigte Geschichte, die zum Ende hin immer mehr berührt.
Marian Wilhelm