Bewertung: ****
Hubert Saupers neuer Essay-Film „Epicentro“ ist eine Erkundungsreise ins Herz des amerikanischen Imperialismus. Und dessen Anfänge findet der für „Darwin’s Nightmare“ Oscar-nominierte Dokumentarist ausgerechnet in der kubanischen Hauptstadt Havanna.
Der Weltbürger Sauper mit Wurzeln in Tirol und Kärnten und einer Wahlheimat in Frankreich begibt sich damit in ein Land, das spätestens seit der Revolution gegen die Batista-Diktatur zu einer Projektionsfläche im In- und Ausland wurde. Kein Land außer Kuba musste und muss für so viel fremde und eigene Imaginationen herhalten. Kein Land außer die USA vielleicht.
Entlang der Beziehung der Insel zum großen Nachbarn dreht sich der Dokumentarfilm um Utopie und kulturelle Eroberungen, um Tourismus und Disneyland sowie um die Rolle, die das Kino dabei spielt: als massenhypnotische Propaganda und „Autopropaganda“. Denn nicht umsonst steht auch das Kino von seinem Anbeginn an im Dienst der Ideologie, wie Sauper am Beispiel der U.S.S. Maine zeigt. Das Kriegsschiff explodierte 1898 und lieferte den Anlass für den Kriegseintritt der USA als neue imperialistische Großmacht.
Die Bewegtbildaufnahmen wurden für die Nachrichten-Propaganda im Studio vor Kulissen nachgestellt. Sauper zeigt kubanische Kinder, die ihrerseits mit Wassertank und Spielzeugschiffchen lernen, wie Bilder und Fiktion produziert werden. Sie sind die Protagonisten seines Films, die er im Abspann „junge Propheten“ nennt. Dafür holt sich Sauper auch Unterstützung von keiner Geringeren als Charlie Chaplins Enkelin Oona Chaplin, die mit einer Gruppe aufgeweckter kubanischer Kinder Geschichten produziert.
„Die Propaganda ist ein Triumphzug, der bis in die Kinderseelen vordringt, und dich und mich definiert. Aber das gemeinsame Erleben ist auch der Schlüssel zu einer Erkenntnis, das ist eben auch das Magische am Kino“, erklärte Sauper.
„Epicentro“ wurde beim Sundance Film Festival mit dem Grand Prize World Documentary Award ausgezeichnet und ist ein intelligenter Bruch mit den Erwartungen an den Kuba-Kitsch und zudem hochpolitisch auf die angenehmste Art und Weise.
Marian Wilhelm