„Kajillionaire“ war einer der unterhaltsamsten und seltsamsten Filme der vergangenen Viennale. Nun ist der dritte Film der Schriftstellerin, Schauspielerin, Regisseurin sowie Künstlerin Miranda July ein Jahr nach seiner Sundance-Premiere sang- und klanglos am normalen Kinostart vorbei ins Streaming-Angebot gewandert. Diesmal konzentriert sich das 47-jährige Multitalent voll auf die Regie, ohne eigene Rolle vor der Kamera wie noch in ihrem Debüt „Me and You and Everyone we know“ (2005) und „The Future“ (2011). Dafür hat sie nun für ihre seltsame Familiengeschichte ein formidables Darsteller-Ensemble verpflichtet.
Im Zentrum steht eine von Evan Rachel Wood gespielte Mittzwanzigerin, die auf den kuriosen Namen „Old Dolio“ hört. Sie lebt zusammen mit dem schon im Pensionsalter stehenden Paar Robert (Richard Jenkins) und Theresa (Debra Winger) in einem stillgelegten Büroraum hinter einer Fabrik in dem einmal am Tag Schaum aus der Decke kommt. Zusammen schlägt sich das Dreierteam am Rande der amerikanischen Konsumgesellschaft mit kleinen Trickbetrügereien und Diebstählen durch. Die Außenseiter leben damit bewusst auf Kosten des kapitalistischen Systems, das allen den trügerischen Traum verkauft, zum „Kajillionaire“ werden zu können.
Miranda July gibt ihren eigenwillig-verschrobenen Figuren eine natürliche Kauzigkeit, bei der Wes Anderson neidisch werden könnte. Darunter verbergen sich aber durchaus auch weniger witzige komplexe Emotionen. Zunächst ist auch nicht klar, ob die drei wirklich Tochter-Mutter-Vater sind. Später meint Richard dann auch „Ich habe es immer als Beleidigung gesehen, dich als Kind zu behandeln.“ Die wunderbar-subtile Moral dabei: familiäre Beziehungen sind mitunter fragil und nicht so selbstverständlich, wie sie an der Oberfläche scheinen.
Das wird klar, als die sonnige Melanie (Gina Rodriguez) den durchchoreographierten Alltag der drei Unangepassten und Old Dolios Herz aus dem Rhythmus bringt. Der Klang dieser ebenso wunderlichen wie überraschenden „Kajillionaire“-Komposition ist jedenfalls fantastisch-frisch.
Marian Wilhelm