Amerika 1870, fünf Jahre nach dem Bürgerkrieg: Captain Jefferson Kyle Kidd schlägt sich als fahrender Nachrichten-Vorleser durch, der den Siedlern im Wilden Westen Zeitungsgeschichten erzählt. Dabei entschärft er auch schon einmal die angespannte Stimmung zwischen den noch immer verbitterten konföderierten Kriegsverlierern und den Nordstaaten-Soldaten. Doch auch er hat die Kriegsjahre noch immer nicht verwunden.
Tom Hanks (64) legt den Veteranen melancholisch an. Nach dem Flugzeugkapitän in „Sully“ und „Captain Phillips“, nach den Weltkriegsdramen „Greyhound“ und „Saving Private Ryan“ spielt er also einen ehemaligen Südstaaten-Captain in einem Western. Und es wäre kein Hanks-Film, wenn seine stille Heldenfigur nicht bald die Chance zu einer guten Tat wahrnehmen würde. Er soll das ebenso wilde wie verschüchterte zehnjährige Waisenmädchen Johanna zu seinen entfernten Verwandten bringen – ein ungleiches traumatisiertes Duo, das an den Rache-Western „True Grit“ erinnert und doch aus anderem Holz geschnitzt ist. Von Kiowa entführt und aufgezogen, verlor sie auch diese Ersatzeltern wieder.
Die Überraschung des Films ist Helena Zengel. Der zwölfjährige Kinderstar aus Deutschland bekam nach dem kraftvollen Auftritt im Film „Systemsprenger“ (auf Netflix zu sehen) von Nora Fingscheidt die schwierige Rolle an der Seite von Hanks – und erhielt für die Leistung prompt unter anderem eine Golden-Globe-Nominierung. In „Neues aus der Welt“ spricht Zengel als Johanna Leonberger in untertiteltem Kiowa einige Brocken ihrer deutschen Erstsprache. Doch die beiden Helden verstehen sich auch ohne Worte auf ihrem gefährlichen Trip durch die von Dariusz Wolski beeindruckend gefilmten Landschaften von Wichita Falls nach Castroville. Der über weite Strecken angenehm ruhige Western lässt sich wunderbar als Kommentar auf die amerikanische Gegenwart lesen. Teilweise ist er auch so geschrieben, etwa wenn Captain Kidd sich weigert, aus dem Propagandablatt eines korrupten Lokalpolitikers vorzulesen – eine deutliche Allegorie auf Fake News und den Wahrheitsanspruch von Journalismus.
Basierend auf dem Roman von Paulette Jiles von 2016 fanden die Dreharbeiten unter Regie-Action-Veteran Paul Greengrass Ende des Jahres 2019 statt. Doch egal, wie prophetisch oder historisch: Die unversöhnliche Nachkriegszeit, die melancholische Güte der Hauptfigur und die mehrfache Identität der jungen Johanna in einer amerikanischen Nation im Wandel passen fast schon zu perfekt ins Jahr 2021. Hollywood-Star Tom Hanks gilt seit Langem als gute Seele und humanistischer Hoffnungsspender der USA. Vielleicht kann der gute Amerikaner mit Hilfe einer deutschen Einwanderin auch diesmal versöhnlich in die Zukunft schauen.
"Neues aus der Welt", ab 10. Februar auf Netflix.
Marian Wilhelm