Bewertung: ***
Über die Trennung von Werk und Autor ist vergangenen Herbst viel geschrieben worden. Vieles davon lässt sich auch auf Roman Polanskis neuen Film „J’accuse –Intrige“ anwenden. Geht es darin doch um nicht weniger als um die berüchtigte Affäre Dreyfus, also um Antisemitismus und korrupte Justiz, Gerechtigkeit und Gewissen. Der jüdische Offizier Alfred Dreyfus (Louis Garrel) wird zu Unrecht wegen Hochverrats verurteilt. Aufklärer Georges Picquart (Jean Dujardin) will die Wahrheit ans Licht bringen und deckt eine bis in höchste Staatskreise reichende antisemitische Intrige auf.
Weniger Thriller als aufwendig kostümiertes Justiz-Dialogdrama: Polanski erzählt die für das damalige Frankreich und die europäische Gegenwart so wichtige Geschichte, von Robert Harris aus dem eigenen Roman „An Officer and a Spy“ adaptiert, trocken und zugleich präzise wie ein Uhrmacher.
„J’accuse“ ist seit der Premiere beim Venedig-Filmfestival (Großer Jury-Preis) für Boykott-Aufrufe ebenso gut wie für billige Solidarität mit dem Regisseur, der sich vor Jahrzehnten im Prozess wegen Vergewaltigung einer 13-Jährigen dem Urteil eines US-Gerichts entzog. Derselbe Polanski ist aber auch jüdischer Holocaust-Überlebender und Witwer der ermordeten schwangeren Sharon Tate.
Anklage und Allegorie
All das hat nichts mit seinem Dreyfus-Film zu tun. Und doch ist es fast unmöglich, „J’accuse“ (auf Deutsch: „Ich klage an“) nicht auch als Kommentar auf Polanski selbst zu lesen. Zumal der Regisseur zu Protokoll gibt: „In der Geschichte fand ich Momente, die ich selbst erfahren habe, ich sehe Entschlossenheit, Fakten zu leugnen und mich für etwas zu verurteilen, was ich nicht getan habe.“
In dieser „Anklage“ liegt eine Allegorie, die den Film über die 125 Jahre alte Dreyfus-Affäre vielleicht umso interessanter macht.
Marian Wilhelm