Im Westen nichts Neues, könnten Liebhaber des Genres beklagen. Doch ab und zu taucht am Horizont ein echter Westernfilm auf. „The Sisters Brothers“ von Jacques Audiard ist weder Parodie noch hoffnungsloser Abgesang auf die Freiheit der amerikanischen Weiten. Der Franzose beweist ein erstaunliches Gespür für die Lebenswelt seiner berittenen Ganoven. Er legt die komödiantischen Töne der Geschichte an der Grenze zwischen Genre-Konventionen und Gunman-Alltag im Jahr 1851 an. Denn schließlich wird im Westen nicht nur getrunken und geschossen, sondern auch geschlafen und gegessen.
Für Westernhelden sind die titelgebenden Sisters-Brüder in ihrer Sinnkrise erstaunlich gesprächig. Die Chemie zwischen John C. Reilly und Joaquin Phoenix als Eli und Charlie Sisters changiert dabei von freundschaftlicher Familienbande zu Hassliebe. Die beiden sind Geschäftspartner im Kopfgeldjäger-Business. Im Auftrag des Commodore (Rutger Hauer) sind sie auf der Jagd nach der Goldformel eines jungen Chemikers. Jede der Figuren verkörpert ihre eigene Version des amerikanischen Traums. Während der sanfte Eli aus dem harten Killer-Geschäft aussteigen will, hat sein kleiner temperamentvoller Bruder Charlie nur den Whisky im Kopf. Ihm macht das Töten Spaß, seit er den gewalttätigen Vater umbrachte.
Zwei Brüder im Dauerclinch
Der Bruderzwist ist einer der Höhepunkte des Films. Besonders der ewige meisterhafte Nebendarsteller John C. Reilly brilliert als Sympathieträger. Als Produzent bricht er mit Regisseur Audiard das Bild der harten Western-Burschen. Die sinnlose Gewalt wird dabei kritisch ausgestellt. Und immer wieder dringt die Zivilisation in die Wildnis der Männer herein. Doch noch hat die Gewalt die Oberhand und die Utopie einer gerechten demokratischen Gesellschaft bleibt eben das: eine Utopie.
****
Marian Wilhelm