Bei der heurigen Biennale war es eine große Überraschung, dass die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi mit dem Goldenen Bären für die außergewöhnlich erzählte Liebesgeschichte "Körper und Seele" nach Hause fahren konnte. Das Thema Liebe durchzieht die Kunstgeschichte seit dem Beginn von Aufzeichnungen und Abbildungen. Die große Kunst besteht jetzt darin, diesem an sich ausgelutschten Thema besondere Qualität abzugewinnen. Jenseits von Kitsch. Ildikó Enyedi ist dieses Unterfangen auf das Vortrefflichste gelungen.
Gleich zu Beginn werfen wir einen Blick in die Natur. Wir sehen einen Hirsch und eine Hirschkuh, die im winterlichen Wald nach Nahrung suchen. Im Laufe der Geschichte werden wir diese Abfolge noch des Öfteren sehen: als Traumbilder. Aus der Natur ins pralle Leben, auf das der Tod zugreift. Wir sehen Arbeitsabläufe in einem Schlachthof in aller Drastik. Endre (Géza Morcsányi) ist der Chef dieses Betriebs. Ein in die Jahre gekommener Mann, der allein lebt und mit einem bewegungseingeschränkten Arm zu kämpfen hat. Eine Kollegin aus der Qualitätskontrolle ist im Mutterschutz, und deren Ersatz namens Maria (Alexandra Borbély) scheint ein seltsamer Vogel zu sein. Introvertiert, schüchtern, ausweichend und dann doch wieder auftrumpfend. Ist die Fettschicht des Rinds bloß zwei Millimeter zu dick, bleibt nur die mindere Qualitätseinstufung. Nach einem Diebstahl im Betrieb macht eine Psychologin eine erstaunliche Entdeckung: Maria und Endre erzählen ihr den identen Traum von einem Hirsch und einer Hirschkuh. Wollen die beiden sie auf den Arm nehmen oder ist es unwahrscheinlicher Zufall?
Mit einem dramaturgisch klug gesetzten Klangumfeld und absichtsvollen Farbsetzungen entfaltet sich hier Seltsames namens Liebe.
Sehen Sie hier den Trailer zu "Körper und Seele":
Reinhold Reiterer