Die guten Jahre

„Jetzt samma wieder da“, sagt Michael. Der 53-Jährige steht in seinem alten Kinderzimmer, dessen Schränke vollgeklebt mit Fußball-Stickern und Postern sind. Als bei seiner Mutter Demenz im Anfangsstadium diagnostiziert wird, zieht der Fotograf wieder zu Hause ein. Diese Rückkehr sowie die Wieder-Annäherung der beiden dokumentiert dessen Freund Reiner Riedler im Film „Die guten Jahre“ empathisch aus der Perspektive des Sohnes, der wiederum selbst mit Depressionen zu kämpfen hat. Behutsam und schonungslos ehrlich schildert der bei der Diagonale uraufgeführte Dokumentarfilm, wie zwei Menschen einander in schwierigen Zeiten Halt geben, Mut machen und Zuversicht spenden. Und dank des vererbten staubtrockenen Humors kommt auch der Schmäh in diesem Film über Pflegearbeit nicht zu kurz. (js) ●●●●○

Alles steht Kopf 2

Einst mussten die Gefühle im Kopf der kleinen Riley, Freude (Amy Poehler), Kummer (Phyllis Smith), Wut (Lewis Black), Angst (Tony Hale) und Ekel (Liza Lapira) lernen, dass alle Emotionen gleich viel wert sind. Doch nun ist Riley offiziell ein Teenager und im Emotionshaushalt ist Generalinventur. Inklusive der neuen Gefühle Zweifel (Maya Hawke), Neid (Ayo Edebiri), Ennui (Adèle Exarchopoulos) und Peinlich (Paul Walter Hauser). Hier könnte man sagen, viel Neues wäre den Machern nicht eingefallen. Erneut will ein Gefühl (Zweifel) bestimmen, wie Riley zu sein hat, und sperrt andere Gefühle (die fünf Originale) aus der Kommandozentrale aus, was Chaos auslöst. Dennoch gelingt es dem Film, mit viel Humor, Seitenhieben auf das Erwachsenwerden, und einigen wirklich emotionalen Momenten, eine gelungene neue Geschichte in Szene zu setzen. Man darf sich wohl auf einen potenziellen dritten Teil und etwaige Romanzen freuen. (sg) ●●●●○

Julie - Eine Frau gibt nicht auf

Das Handy vibriert, die Arbeit ruft, die Kinder brauchen Frühstück; alles muss zackig gehen: für die alleinerziehende Mutter Julie (Laure Calamy: famos) der ganz normale Morgen. In einem Luxushotel am Rande von Paris jobbt die studierte Akademikerin als Zimmermädchen - nach der Scheidung soll schnell wieder Geld hereinkommen. Für die Powerfrau, die sonst immer alles fest im Griff hat, scheint derzeit jedoch nichts richtig zu laufen: Bahnstreiks bremsen den öffentlichen Verkehr, Vorgesetzte haben wenig Verständnis für das Zuspätkommen, die Sprösslinge benötigen einen Babysitter. Wie seine Protagonistin steht auch der Film um sie herum untentwegt unter Strom. Regisseur Eric Gravel setzt eine Stressspirale in Gang, die einfach kein Ende nimmt; die immer wieder neue Abzweigungen wählt, um der Titelheldin ein Hindernis in den Weg zu stellen. Pulsierende Synthiesounds und minutiös getaktete Jumpcuts verhindern, dass diesem atemlosen und raffinierten Sozialthriller je die Puste ausgeht. (cp), ●●●●○

Watching You

Ein Palantír ist ein verführerisches und gefährliches Ding, das wissen Tolkien-Fans nur zu gut. Ausgerechnet diesen elbischen Namen hat sich IT-Unternehmer Alex Karp ironischerweise für seinen Überwachungstechnologie-Konzern ausgesucht. Die Doku „Watching You - Die Welt von Palantir und Alex Karp“ widmet sich nun diesem klandestinen Werkzeug im Dienste vieler Überwachungsstaaten und seinem extravaganten Chef-Werkzeugbauer und CEO, der einst in Frankfurt Sozialwissenschaften bei Jürgen Habermas studierte. Doch wie ein kritisches Porträt über jemanden drehen, der sich Interviews verweigert? Filmemacher Klaus Stern nähert sich dem Mann über Archivmaterial und Interviews mit Kritikern und Kontakten, ohne allzu viele ethische Grundsatzdiskussionen. Am Ende der etwas ausführlichen, aber lockeren Doku ist man neugieriger als vorher, hat aber auch ein gutes Gefühl für die verhängnisvolle Beziehung von A.I.-Daten-Technologie und sicherheits-besessener Staatsmacht.