Prominente nehmen oft eine Stellvertreterrolle ein. Ihre Liebesgeschichten genauso. Als Ingeborg Bachmann 1958 Max Frisch kennenlernte, begann eine Liebe, die nicht nur den beiden Schreibenden autobiografischen Stoff lieferte. Auch über ihren Tod hinaus sind die beiden Intellektuellen und ihre Beziehung eine Projektionsfläche geblieben. Nun erzählt Regie-Veteranin Margarethe von Trotta davon und stellt ihren Spielfilm "Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste" im Wettbewerb der Berlinale vor.
Auch wenn Filmtitel und Erzählperspektive auf Bachmann fokussieren, geht es hauptsächlich um die Episode ihres Lebens mit Max Frisch. Die charismatische Hauptdarstellerin Vicky Krieps macht damit einen Sprung von ihrer überlebensgroßen Rolle als Kaiserin Elisabeth in die Nachkriegszeit. Von einer Adeligen zu einer Autorin. Von einer Frau mit dem Wunsch nach Freiheit hin zu einer Frau, die die Freiheit versuchte tatsächlich zu leben.
Freiheit und laute Schreibmaschinen
Der großartige Ronald Zehrfeld legt die Männlichkeit seines Max Frisch bei aller Sympathie doch recht altmodisch an. Und damit ist der Film über Ingeborg Bachmann auf einer Ebene auch eminent politisch und aktuell. Wie kann eine Beziehung von zwei freien Intellektuellen Bestand haben, die sich auch ihre Freiheiten mit anderen Zufallsliebschaften zugestehen? Scheitert sie an der außergewöhnlichen Freiheit zweier mutmaßlich außergewöhnlicher Menschen oder doch daran, dass Frisch Bachmann mit seiner lauten Schreibmaschine nervt? Hier stellt sich das Genre des Films als einfühlsames Liebesdrama quer gegen das feministische Thema, das eine Regisseurin wie Margarethe von Trotta auch im Blick behält. Oft haben Genre und Politik eine gemeinsame Stoßrichtung. Hier neutralisieren sie sich gegenseitig in einem Biopic, das die Biografie seiner Protagonistin sehr eng fasst. Das tut den beiden und ihrer reflektierten Liebe ein Stück weit Unrecht.
Doch Trotta findet in einer Ägyptenreise Bachmanns mit einem jungen Liebhaber ein geschicktes Kontrastelement, das sie als Vorgriff immer wieder in die tragisch gefärbte Liebesgeschichte mit Frisch einbaut. Damit gönnt sie Ingeborg Bachmann zumindest einen Ausweg, der optimistischer ist als das reale Ende ihres Lebens bei einem Wohnungsbrand in Rom 1973. Auch wenn "Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste" ein im Guten wie im Schlechten spürbar deutscher Film über eine berühmte Österreicherin ist, strahlt er dank Vicky Krieps und der beeindruckenden Bildgestaltung doch auch international. Ob er die Berlinale-Jury begeistern kann, wissen wir bei der Bärenverleihung am Samstag. In die österreichischen Kinos soll er ab Herbst kommen.
Vollends begeistern konnte am ersten Wochenende noch keiner der weiteren Wettbewerbsfilme. Der US-Beitrag "Manodrome" entwirft ein reduziertes Bild eines destruktiven Protagonisten, der in einer Sekte und seiner toxischen Männlichkeit gefangen ist. Der Debütfilm "Disco Boy" von Giacomo Abbruzzese mit Franz Rogowski als Fremdenlegionär ist formal ambitioniert, lässt aber inhaltlich viele Fragen offen. Der Sundance-Hit "Past Lives" mutet als Romanze für den Berlinale-Wettbewerb mit all seinen thematischen Erwartungen etwas zu süß an, während der mysteriöse chinesische Beitrag "The Shadowless Tower" im interkulturellen Transfer viel an Bedeutung einbüßt. Präsidentin Kristen Stewart und ihre Jury haben also noch keine leichte Entscheidung. Aber noch liegt eine Woche Berlinale vor ihnen.
Marian Wilhelm