Zunächst minutenlange Super-8-Aufnahmen von einem öffentlichen Häusl, irgendwo in Westdeutschland im Jahr 1968: Männer küssen sich, einer zerrt den anderen in eine Kabine, sie haben einvernehmlichen Sex. Eine versteckte Kamera der Sittenpolizei filmt die Szenerie, die Aufnahmen dienen der Beweissicherung. Vor Gericht heißt es: „Widernatürliche Unzucht nach Paragraf 175.“ Urteil: 24 Monate Haft.
„Große Freiheit“ erzählt vom Homosexuellen Hans Hoffmann (Franz Rogowski) und seinen Gefängnisaufenthalten, die er bekommt, weil er Männer liebt und begehrt. Und sie ihn. Die Nazis lassen ihn deswegen ins KZ deportieren, die Alliierten stecken ihn nach Kriegsende erneut in Haft, um die Reststrafe abzusitzen.

Sebastian Meises („Stillleben“) u.a. in Cannes, Chicago, Sarajevo, Wien und zuletzt Sevilla ausgezeichnetes Drama widmet sich einem wichtigen und unbekannten Kapitel queerer deutscher Geschichte: dem Paragrafen 175. Homosexualität unter Männern war in Deutschland 123 Jahre lang illegal. Alleine in der Nachkriegszeit wurden mehr als 100.000 Schwule deswegen bis 1969 vor Gericht gestellt – ein ähnlicher Paragraf hierzulande galt bis 1971. Erst 1994 wurde der Paragraf 175 abgeschafft. Kriminalisierung und Diskriminierung existieren in vielen Ländern weiterhin.

Hans ist Wiederholungstäter. Immer wieder kommt er hinter Gitter, wo er auf den verurteilten und drogenabhängigen Mörder Viktor (Georg Friedrich) trifft. Der will mit einem „175er“ nichts zu tun haben. Er will Hans verprügeln, als er an dessen Unterarm eine tätowierte Nummer sieht. Sie stammt aus dem KZ. Ob er ihm etwas „drüber pecken“ solle, fragt Viktor. Und diese Aktion besiegelt ihre Zellenpatenschaft sowie ihre Vertrautheit und sorgt für ein kleines bisschen Zuneigung im herzensarmen Umfeld des Eingesperrtseins.


In drei verschiedenen Zeitebenen beleuchtet das starke Buch (Thomas Reider, Sebastian Meise) so gut wie jedes Ende von Hans’ Lieben vor Gericht, keimendes Aufbegehren hinter Mauern und kleine sexuelle Abenteuer in Nächten im Freien, nachdem man sich etwas zuschulden kommen hat lassen. Gedreht in einem ehemaligen DDR-Gefängnis, intim fotografiert von der Kamerafrau Crystel Fournier, lebt „Große Freiheit“ vom intensiven Spiel und der Chemie der Charakterdarsteller Rogowski und Friedrich, unterstützt von einem herausragenden Ensemble um Thomas Prenn und Anton von Lucke.

Österreich schickt diesen politisch wichtigen, beklemmenden und trotz Traurigkeit vor ungemeiner Schönheit strotzendem Film ins Oscar-Rennen. Ein Liebesschwur ans Leben, Lieben, an die Leidenschaft und ans Kino.