Was für ein wunderschöner Film über das Alter, das Leben, die Liebe! Was haben Sie sich beim Lesen des Buchs gedacht? Endlich einmal Rollen für Ältere, die aus dem Leben gegriffen sind?
GÜNTHER MARIA HALMER: Ich fand das Drehbuch einfach großartig.
SENTA BERGER: Es geht gar nicht nur um Rollen. Es geht um die Geschichte. Wir beide hatten das Gefühl, wir wollen diese Geschichte miterzählen. Die ist so weit ab von der gängigen Kino-Ware, dass ich mir gar nicht sicher WAR ob die Leute das sehen wollen. Jetzt nach den ersten Vorführungen, glaube ich doch. Wir beide sind schon über 80. Ältere oder alte Menschen im Kino werden immer so lustig dargestellt. Sie tanzen oder fahren mit dem Fahrrad, darüber hängt ein Korb mit Äpfeln. So ist es aber gar nicht. Das versuchen wir zu zeigen.
Ein Satz berührt und bleibt hängen. „Du hast doch Angst vor dem Leben, nicht vor dem Tod!“ sagt sie zu ihm.
BERGER: Dieser Satz stammt von mir. Kannst du dich erinnern? Der Martin Rauhaus (Anm. Drehbuchautor) hat sich ein bisschen um diese Szene herumgeschwindelt. Ich habe gesagt: „Ich verstehe es nicht. Lass uns nachdenken!“ Dann fiel mir mein Vater ein. Er hatte solche Angst vor dem Krankwerden und vor dem Tod, dass er dem Leben ausgewichen ist. Er hatte das Gefühl, er werde nur enttäuscht. So hat er sich seine letzten Jahre schwer gemacht.
Wann sagen Sie eine Rolle zu? Wann reizt Sie eine Geschichte?
BERGER: Bei mir geht es immer um das Buch; wie es geschrieben ist, wer Regie führt, ob man noch über das Buch reden kann oder ob alles in Stein gemeißelt ist.
HALMER: Sie ist sehr wählerisch. Harald Schmidt sagte einmal: „Manchmal geht Drehort vor Drehbuch.“ Und ich muss ehrlich sagen, ich bin ein bisschen bestechlich. Ich nehme das Buch nicht so ernst, wenn ich stattdessen drei Wochen irgendwo in China sein kann.
BERGER: Ich steige in eine Arbeit gerne früh ein. Wenn ich das Gefühl habe, etwas beitragen zu können. Dieses Drehbuch war makellos, wie eine Partitur geschrieben.
Wer hat zuerst zugesagt?
HALMER: Die Senta wird als Erste gefragt, dann überlegt man, wer zu ihr passen könnte. Danach wurde ich gefragt und habe zugesagt. Wir haben auch schon fünf Mal zusammengedreht, vier Mal spielten wir Ehepaare. Nur bei „Die schnelle Gerdi und die schnelle Hauptstadt“ war ich ein Verehrer.
Können Sie mir etwas Gutes über das Älterwerden berichten?
BERGER: Ich finde, es ist eine Zumutung! Ich warte noch auf dieses Gelassen-Werden. Ich wollte das Wort Altersmilde nicht verwenden, denn das scheint für mich in weiter Ferne zu sein. Ein bisschen gelassener bin ich vielleicht geworden. Wissen Sie, was das Gute am Altwerden ist?
Verraten Sie es mir.
Dass ich jeden Morgen aufwache und da bin. Etwas Anderes fällt mir nicht ein. Und: Dass ich noch gehen, stehen und sprechen kann mit Ihnen; sogar in verschiedenen Sprachen.
HALMER: Solange mir nichts wehtut, finde ich das Alter schön. Man hat keine Angst mehr. Man muss sich nichts mehr beweisen oder Geld verdienen, man muss nicht. Diese Freiheit ist angenehm.
Das klingt nach einem Vorteil.
HALMER: Ich bemerke im Gespräch mit jungen Menschen, dass ich mehr Erfahrung habe als sie. Mein Fahrer in Berlin zum Beispiel war unglücklich, denn seine Liebste hat sich von ihm nach acht Jahren getrennt. Ich sagte: „Dann musst du dir halt eine Neue suchen. Er meinte, die seien alle vergeben. „Warte ein bisschen, dann kommen sie von allein“, sagte ich ihm. Man muss gar nicht so kämpfen. Das ist meine Lebenserfahrung.
Wird es mit dem zunehmenden Alter dringlicher, dass man Dinge noch einmal macht beziehungsweise erlebt?
BERGER: Ja, ein Abschiedsgedanke ist sehr oft dabei. Vielleicht zum letzten Mal … So etwas kriecht hoch. Mich beflügelt Aktivität nicht so sehr. Ich weiß ganz genau, womit ich meine Zeit verbringen will. Wenn ich in Wien bin, will ich in die Albertina gehen, davor ins Dorotheum und ins Landtmann. Das will ich noch so oft wie möglich erleben.
Wie halten Sie es denn persönlich mit der Erinnerung?
BERGER: Ich habe mich immer sehr gerne erinnert, konnte das auch abrufen auf Knopfdruck. HALMER: Wien ist doch die Hauptstadt der Erinnerungen! Es besteht aus Erinnerungen: Sisi, Schönbrunn, etc.
BERGER: Ja, man muss sie zulassen. Mir hat einmal eine Schauspiellehrerin, Susi Nicoletti, gesagt: Du musst aus Wien weggehen, um zurückkommen zu können. Ich war damals in Solothurn engagiert und todunglücklich. Ich bin weggegangen, nur leider nie mehr zurückgekommen.
Im Film steht das Erinnern auch für Zitronentarte; die Amalfi-Küste und Südfrankreich.
BERGER: Das braucht man doch auch! Das Problem ist, dass sich die Leute nicht erinnern, weil sie nicht miteinander sprechen. Die verstummenden Ehepaare IN IHREN AUTOS, die neben mir an der Kreuzung halten. Da geniere ich mich fast, weil ich mit dem Michael ständig quatsche. Das gemeinsame Erinnern ist ein großes Bindeglied. Auch das, was man besser nicht ausgräbt. Man hat das erlebt, das gehört zu seinem Leben und ist nicht mehr wegzudenken.