"Conscious Eating", also bewusstes Essen, heißt das Fach, das Ms. Novak (Mia Wasikowska) an einer Eliteschule unterrichtet. Ihre Schülerinnen und Schüler: vorrangig "Rich Kids", Kinder reicher Eltern. "Hoch talentiert – das glauben sie zumindest", so die Schuldirektorin Ms. Dorset (Sidse Babett Knudsen) im vertraulichen Gespräch.
Nach ein paar laminierten Infos und schwurbeligen Stehsätzen sind die Jugendlichen schon am direkten Weg in die Essstörung und werden darin von ihren Eltern freundlichst unterstützt, ein bisschen abnehmen wäre doch gut, und "bewusstes Essen", daran kann doch nichts Falsches sein. Schnell stacheln darüber hinaus noch gruppendynamische Prozesse die Jugendlichen zu einer Art Wettbewerb im Nichtessen an.
Einer der eindringlichsten Momente in Jessica Hausners Wettbewerbsfilm "Club Zero" ist jener des völligen Einvernehmens zwischen Mutter und Tochter, als eine der Schülerinnen das Essen zu Hause verweigert. Sie habe schon gegessen und sei nicht hungrig – eine offensichtliche Lüge. Ihre Mutter schickt die Bedienstete erleichtert zurück. So müssen sich beide nicht mehr heimlich im Badezimmer die Seele aus dem Leib kotzen.
Bald geraten Ms. Novaks Schülerinnen und Schüler ernstlich in Gefahr – es ist die Mutter eines Stipendiaten aus armen Verhältnissen, die diese Gefahr als Erstes auch an der Schule benennt, doch die reagiert wie einige Eltern viel zu langsam. Letztlich wird die Lehrerin von der Schule verwiesen, weil sie mit einem Schüler privat in der Oper war. Doch zu diesem Zeitpunkt ist ihr Teufelswerk längst verrichtet.
Die österreichische Filmemacherin Jessica Hausner ist mit ihren Filmen seit ihrem ersten Langfilm "Lovely Rita" 2001 Stammgast beim Filmfestival von Cannes, auch "Hotel", "Lourdes" und "Amour Fou" feierten hier Premiere. Der subtile Sci-Fi-Horror "Little Joe" lief 2019 im Wettbewerb, Emily Beecham wurde als beste Darstellerin ausgezeichnet. Hausner selbst saß 2021 auch in der Wettbewerbsjury, jenem Jahr, in dem die französische Filmemacherin Julia Ducournau für ihren aufsehenerregenden Körperhorrorfilm "Titane" ausgezeichnet wurde – Ducournau ist heuer Mitglied der Jury, Jurypräsident ist der schwedische Regisseur Ruben Östlund. Mit "Club Zero" ist Jessica Hausner eine kühle, böse Satire geglückt auf Menschen, die jeglichen Bullshit-Detektor verloren haben – oder ihn noch nicht ausbilden konnten. In architektonisch wertvollen Settings kommen die zahlreich geäußerten Plattitüden noch besser zur Geltung, die Kostüme mit ihrem ganz eigenen Farbschema spielen mit Verfremdungseffekten, aber eben auch mit der Austauschbarkeit – Kostümbildnerin ist Tanja Hausner, die Schwester der Regisseurin.
Hausners Film zeigt, wie wenig es braucht, um Menschen auf gefährliche Abwege zu führen – die Essstörung im Spielfilm steht hier sinnbildlich durchaus auch für andere radikale Ideen, denen junge Menschen verfallen können. Ein Film über das Essen also weniger als über die Moral, mit Elementen von Thriller und Horror, der zeigt, wie alles in sein Gegenteil verkehrt werden kann.