Regisseurin Mirjam Unger, Produzentin Gabriele Kranzelbinder, Kamerafrau Eva Testor und Editorin Niki Mossböck bilden eine schöne Klammer vom Anfang bis zum Ende: Ihre Nöstlinger-Adaption "Maikäfer flieg" eröffnete 2016 die erste Diagonale des Intendanten-Duos Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber in Graz. Und an ihrem letzten Festivaltag, am 26. März, läuft der ORF-Landkrimi "Der Tote in der Schlucht" dieses Teams beim Diagonale-Mörderfrühstück, bevor der Preisreigen startet.
Das heurige Filmfestival von 21. bis 26. März ist geprägt vom Wiedersehen mit altbekannten sowie aufregenden neuen Stimmen im österreichischen Kino. Ein bisschen Abschiedsschmerz und Wehmut ist wohl auch dabei, zitierte das Duo eingangs doch folgende Textzeilen dem Hadern "Überdosis G'fühl" von STS: "So viel Bilder, so viel G’schichten. So viel Schmerz und so viel Herz."
Flucht und Fluch
Das Kino, heißt es im Programmbuch, sei "häufig Flucht und manchmal Fluch". Denn: "Das Filmjahr 2022 war eines der turbulentesten in der jüngeren Geschichte des heimischen Kinos", sagt Höglinger. Changierend zwischen internationalem Preisregen, ausgezeichneten Debüts, Erfolgsmeldungen wie das neue Filmfördergesetz, offenbarten sich aber auch viele strukturelle Probleme wie Machtmissbrauch, #MeToo-Meldungen, die Causa Teichtmeister, Kritik an Produktionsbedingungen sowie "Unschuldsvermutungen und Beweisantritte", wie Höglinger formuliert. Nebst Screenings von viel debattierten Filmen wie "Corsage" oder "Sparta" werden Themen wie #MeToo, feministische Perspektiven oder Fachkräftemangel auch im Filmmeeting behandelt.
Herzstück ist der Wettbewerb mit insgesamt 115 aktuellen Filmen: Im Spielfilmsektor stellen u. a. Achmed Abdel-Salam ("Heimsuchung"), Dieter Berner seine Version der Lovestory von Alma Mahler und Oskar Kokoschka in "Alma & Oskar" mit Emily Cox, Franziska Pflaum ihr Debüt "Mermaids don't Cry" mit Stefanie Reinsperger und Julia Franz Richter sowie Johannes Grenzfurthner die irrsinnige Satire "Razzennest" auf den Filmbetrieb vor. Im Dokumentarfilmbereich werden u. a. Katharina Mücksteins performativ-informative Feminismus-Analyse "Feminism WTF", das unkonventionelle Porträt "Jedermann und ich" über Philipp Hochmair, der mit Katharina Pethke Co-Regie führte, oder Joerg Burgers Recherche "Archiv der Zukunft" in der Sammlung des Naturhistorischen Museums uraufgeführt.
Die Diagonale 2023 ist aber auch ein rauschendes Fest. Eröffnet wird dieses großspurig mit einem sinnlichen Doppelpack: Patric Chihas "Das Tier im Dschungel" – einem der laut Schernhuber "mondänsten Filme" des österreichischen Kinos und eine Ode an die Clubkultur sowie Viktoria Schmids Ritt "NYC RGB" Ritt durch Zeit, Raum und Farben in Manhattan.
Referenzen zu Clubs und Kinos – "beide sind politische Orte" – gibt es zuhauf im Programm wie etwa die Doku "Vienna Calling" über das Wiener Schmauswaberl und den österreichischen "Rock 'n' Roll Swindle".
Filmemacher Goran Rebić ist die Reihe "Zur Person" mit einer ganzen Reihe an Arbeiten wie "Jugofilm", "Am Rande der Welt" der "Donau, Duna, Dunaj, Dunav, Dunarea" gewidmet und der "österreichischen Sophie Loren", Marisa Mell, ist im Graz Museum die Schau "Magic Marisa" und u.a. eine neue Doku von Markus Mörth gewidmet.
Mit dem gemeinsam mit dem Filmarchiv Austria, dem Österreichischen Filmmuseum und dem ORF kuratierten Programm "Finale" gewährt die Diagonale einen Blick auf das Verhältnis des österreichischen Films zu Endzeit, Apokalypse und zu verschiedenen Abgründen. Hier gibt es unter anderem ein Wiedersehen mit dem schrägen Liebesfilm "Richtung Zukunft durch die Nacht" von Jörg Kalt aus dem Jahr 2002 und der selten zu sehenden Generationenstudie "Atemnot" der Regiepionierin Käthe Kratz aus dem Jahr 1984 – sie wird auch in Graz anwesend sein. Ein weiteres Special ist dem 1999 verstorbenen Autor, Filmemacher und Kritiker Bernhard Frankfurter gewidmet, der den begehrten Carl-Mayer-Drehbuchpreis initiierte. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt von Filmen, die zur Entdeckung und Diskussion einladen.