Wenn die Eltern mit 97 und 103 Jahren sterben, verzögert sich der Prozess des Erwachsenwerdens ganz schön. Das hat für Hollywood-Veteran Steven Spielberg zu einer wunderbaren Filmkarriere geführt, bei der er sich immer den Blick eines Kindes bewahrt hat. Nun zieht der 76-jährige Spielberg Bilanz und verfilmt seine eigene jüdische Familiengeschichte. Mit "Die Fabelmans" bekommt sein umfangreiches filmisches Lebenswerk einen würdigen Schlussstein.
Alles beginnt – wie könnte es anders sein –mit dem ersten Kinobesuch im Volksschulalter. Es ist die Geburt des Filmemachers Sammy Fabelman, der daraufhin mit einer Schmalfilmkamera das traumatische Zugunglück aus dem soeben gesehenen Western mit seiner Modelleisenbahn nachstellt. Dabei hilft ihm seine Mutter (Michelle Williams), die ihm die Fantasie mitgibt. Sie wäre wohl eine erfolgreiche Konzertpianistin geworden, hätten ihr in der Nachkriegszeit nicht die häuslichen Zwänge als Ehefrau und die mehrfache Mutterschaft dazwischen gefunkt. Vater Burt (Paul Dano) ist als Pionier der Computerentwicklung für die technische Faszination zuständig. Bei dieser Eltern-Kombination kann eigentlich nur ein Handwerksmeister der Filmkunst herauskommen.
Zuerst muss sich Sammy (Gabriel LaBelle) in der Pubertät gegen den Vater behaupten, der eine "ernsthaftere" Karriere für ihn im Sinn hat. Der in sich gekehrte Vater übersieht neben der Arbeit immer stärker seine Frau, die sich in seinen besten Freund verliebt.
Sammy entdeckt die Affäre zufällig durch die Augen seiner Kamera – am Schneidetisch. Die Wahrheit liegt zwischen den Filmbildern verborgen. Ohne ein Wort zu verlieren, zeigt Sammy den Film seiner Mutter und das Geheimnis verbindet die beiden zunächst wieder, auch wenn es die Eltern wenig später entzweit. Wie phänomenal Spielberg nicht nur diese Schlüsselszene inszeniert, macht deutlich, warum er einer der großen Regisseure seiner Generation ist.
Mit dem Frieden des Alters erzählt er von diesem Kindheitstrauma und behandelt beide Eltern mit unglaublicher Zärtlichkeit. "Die Fabelmans" ist ein letztes Verzeihen und eine Hommage an die beiden. Für das Publikum bietet der Film eine offene Erzählung mit viel Zeitkolorit.
Trotz Überlänge begleiten Spielberg und Drehbuchautor Tony Kushner den späteren Regiestar von seinen ersten Schritten bis zum ersten Vertrag mit einem Filmstudio. Das siebenfach oscarnominierte Werk ist einer der schönsten Filme über Familie und das Filmemachen.
Marian Wilhelm