Herzlichen Glückwunsch, "Corsage" ist auf der Shortlist für den besten internationalen Film für die Oscars und hat in diesem Jahr viele Preise und Nominierungen abgeräumt. Hätten Sie so eine Reise mit Sisi je für möglich gehalten?
MARIE KREUTZER: Man sollte immer alles für möglich halten, aber es war jedenfalls nicht meine Erwartung. Mein größter Wunsch für den Film war, dass er auf den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wird.

Ist das für Sie persönlich als Filmemacherin schon eine Krönung?
Ja, unbedingt! Ich habe binnen eines Jahres einen schönen analogen Brief von den Filmfestspielen in Cannes und ein hochoffizielles E-Mail von der Academy of Motion Pictures erhalten – das ist so eine Art Krönung, nehme ich an.

Was war Ihre Intention mit diesem Thema?
Ich möchte immer gern echte Menschen in ihrer ganzen Komplexität zeigen. Wir sind alle nicht perfekt, wir sind alle manchmal herzlich, aufmerksam, klug und lustig und in anderen Momenten ungeduldig, unfair, grob oder einfach frustriert. Ich wollte Elisabeth menschlich zeigen. Wir sind es gar nicht gewohnt, insbesondere Frauen als "echte Menschen" zu sehen. Wir sehen sie in allen Medien mit Photoshop oder Botox bearbeitet, geschminkt, gestylt und immer perfekt als Mütter, Partnerinnen, im Beruf. Deshalb leben wir Frauen alle, bewusst oder unbewusst, in der Überzeugung, dass wir gefallen und perfekt sein müssen, um Liebe zu verdienen. Das ist einfach furchtbar.

Hatten Sie je davon geträumt, da oben zu stehen und diese Statuette entgegenzunehmen … und sind dann aufgewacht?
Nein. Ich definiere mich auch nicht über Preise, sie nehmen nicht so einen großen Raum bei mir ein. Das wäre auch sehr traurig, weil wir keinen Einfluss auf ihre Vergabe haben. Ich habe aber Einfluss auf meine Karriere an sich, auf die Arbeit, die ich mache. Darauf konzentriere ich mich eher. Im Traum stehe ich eher am Set!

Zwei Serien und noch ein Film zeugen aktuell von ungebrochener Popularität dieser Monarchin. Warum ist diese Frau nach wie vor so interessant?
Soweit ich weiß, zelebrieren die Serien wieder das Bild der jungen, schönen, tragischen Kaiserin. Weil man eben erwartet, dass das Publikum das mag: die "perfekte Frau" im goldenen Käfig, die aber nicht genug Liebe bekommt und daran zerbricht … oder so. Diese tragischen realen Figuren, wie Sisi, Diana oder Marilyn, werden immer wieder mit dieser Geschichte, sagen wir, verkauft. Ich glaube auch, dass Elisabeth erst durch Romy Schneider so berühmt und beliebt wurde, also durch genau die Reduktion auf diesen "Armes, reiches Mädchen"-Plot und natürlich durch diese einzigartige, wunderbare Schauspielerin.

Was erzählt uns Ihre Sisi über das Frausein heute in den Königshäusern oder im royalen Umfeld – Stichwort Meghan Markle?
Das Problem ist immer und für alle Frauen noch das gleiche: Gefallen müssen, um geliebt zu werden. Je mehr Frauen in der Öffentlichkeit stehen, um so schlimmer wird das, weil sie von den Medien und den Konsumentinnen und Konsumenten ständig beobachtet und beurteilt werden und nicht "nur" von den Männern, Freundinnen oder Schwiegereltern. Es ist praktisch unmöglich, alles "richtig" zu machen als Frau in der Öffentlichkeit. Und für Frauen in Königshäusern noch mehr, denn sie leben in einem strikten Regelwerk und haben wenig Freiheiten, sich auszudrücken oder auch zu wehren. Stellen Sie sich einen Moment vor, die ganze Welt würde so über Sie herziehen wie die Menschen derzeit über Meghan Markle.

Vicky Krieps brilliert als Kaiserin Sisi
Vicky Krieps brilliert als Kaiserin Sisi © AP

Und was bedeutet es für Frauen abseits vom Prinzessinenalltag?
Auch eine Regisseurin, Lehrerin, Floristin oder Steuerberaterin hat diese Probleme: Wir sollen die Erwartungen unseres Umfelds erfüllen, was für Frauen bedeutet, dass sie vor allem immer freundlich, geduldig und hilfsbereit sein sollen, am besten hübsch und schlank, Mutter sowieso, aber eine gute (!), beruflich erfolgreich, aber bitte nicht Vollzeit wegen der Kinder, und so weiter. Sisi erzählt uns, dass Perfektionismus uns zerstört. Aber die Gesellschaft sagt uns immer noch, dass wir perfekt sein müssen.

"Corsage" ist auch die Geschichte einer Selbstermächtigung und Befreiung, die den Mythos um Sisi zertrümmert. Über welche anderen Frauen müsste man vor diesem Hintergrund unbedingt einen Film machen?
Da gibt es zu viele, um sie hier aufzuzählen!

Welchen prominenten und ungewöhnlichen Menschen sind Sie auf dieser Reise mit Ihrem Film begegnet?
Unglaublich vielen, was zu den schönsten Dingen daran gehört. Es wird noch eine Zeit dauern, all diese Begegnungen zu verarbeiten. Und auch, die zu treffen, die mich noch treffen wollen.

Und wie geht die Geschichte mit Patti Smith?
Patti Smith hat eine sehr exklusive Vorstellung des Films in New York "gehostet", war also als Quasi-"Gastgeberin" vor Ort. Sie ist seit "Der seidene Faden" ein großer Fan von Vicky Krieps und liebt unseren Film. Wir haben uns davor zu dritt getroffen und unterhalten. Es war sehr schön, weil sie so eine unglaublich gelassene, entspannte, authentische, kluge und witzige Person ist und einem wirklich das Gefühl gibt, einen zu verstehen. Ein sehr besonderer Moment.

Wie lässt man so ein Projekt wieder los? Kann man das überhaupt so einfach loslassen?
Das weiß ich noch nicht, ich renne ja immer noch von Termin zu Termin für den Film. Und ich weiß, dass es nicht mit jedem Film so läuft und laufen wird und dass ich jetzt immer diesen Maßstab habe, von außen und von mir selbst. Das ist vielleicht schwierig daran: den Hype wieder loszulassen. Obwohl ich mich sehr auf mehr Ruhe freue.

Öffnen einem diese Auszeichnungen, Nominierungen und Promo-Touren neue Türen. Hat Hollywood schon angeklopft?
Mehrfach, aber das heißt ja alles noch nichts. Ich habe immer meine Projekte nach Bauchgefühl ausgewählt und hatte nie einen "Karriereplan" und daran wird sich nichts ändern, ich will selbst meine Drehbücher schreiben und nicht einfach Projekte annehmen, weil sie groß und glamourös sind. Aber natürlich kommt es zu Kontakten, die sehr interessant sind für künftige Projekte und wirkt jetzt vieles möglich, was davor schwieriger gewesen wäre.

Was wünschen Sie sich persönlich für 2023?
Ruhe, außen und innen. Ich habe jetzt über zweieinhalb Jahre so viel gearbeitet, dass es wirklich mal eine längere Zeit ohne Termine braucht, damit ich wieder zu mir zurückfinde! Ich wünsche mir Gelassenheit, Gesundheit und schöne Sommerabende, Momente mit geliebten Menschen und viel Natur. Aber vor allem wünsche ich mir, dass die Politik alles tut, was sie kann und muss, um die Situation für die Menschen in Afghanistan, im Iran und in der Ukraine zu verbessern, um für Frieden zu sorgen. Und dass endlich radikale Maßnahmen gegen die Erderwärmung getroffen werden.

Und welche Projekte stehen bei Ihnen an?
Kein konkretes. Es gibt viele Ideen, aber ich entscheide erst, wenn die "Corsage"-Reise zu Ende geht und ich Ruhe dafür habe!